Über Imagination und Realität unvertrauter Städte

Während der Planung einer Reise in eine Stadt, in der ich vor über zehn Jahren für ein Jahr gelebt habe, erinnere ich mich an eine Erinnerung: Eine Gasse, die, abgehend von einer großen Straße unweit der Universität, hoch führt auf einen Berg. Die kopfsteingepflasterte Gasse, lang und schräg gestuft, wird von gemütlichen Pubs gesäumt, in denen es besonders gutes Essen und gutes Bier gibt. An ihrem Ende führt ein Pfad am Hang entlang und öffnet schließlich den Blick auf ein wunderschönes Tal, mit weißen Felsen. Ein geheimer Ort. – Ein Ort, den es nie gegeben hat.

Und doch ist er in meiner Erinnerungen in der Zone der Unentscheidbarkeit zwischen Realität und Phantasie, der Zone, in der Realität und Imagination in der Erinnerung an die Erinnerung an ein Erlebtes und die Erinnerung an die Erinnerung an ein Geträumtes verschwimmen.

Warum habe ich diese Art der Erinnerung in dieser Stadt? Warum nicht in anderen? Vermutlich aufgrund ihrer großen Unvertrautheit zu der Zeit, als ich in ihr lebte. Eine Unvertrautheit, die nicht nur Raum gibt für imaginäre Ergänzungen der nur bruchstückhaften inneren Repräsentation der städtischen Textur, sondern diese Ergänzungen geradezu erfordert – um sich trotz dieser Fragmentiertheit in ihr zu orientieren, oder wenigstens orientiert zu fühlen.

Warum weiß ich, dass es diesen Ort nicht gibt, dass er nur geträumt-erinnert ist? Nur, weil es keinen Platz für ihn in der Karte gibt, weil er in in dieser Stadt nicht sein kann.

Dieses Wissen ist aber nur eins mit Vorbehalt. So bin ich in Mainz einst auf einen Ort gestoßen, den ich für imaginiert gehalten hatte. Nach Jahren in der Stadt kam ich an diesen kleinen Platz über eine schmale Gasse. Und fand mich zurückversetzt in die Zwischenwelt von Realität und Traum meiner ersten Tage in der Stadt. Damals war ich, mich treiben lassend durch die Straßen und Gassen, an diesen Ort gelangt. Ich hatte ihn schon aus dem Bereich der erinnerten Realität gebannt und ihn den träumerischen Appräsentation des Raums während der Entdeckung unbekannter Städte zugerechnet. Und auf einmal stand ich in dieser Erinnerung, in der, für einen kurzen Moment, die Realität imaginär war und das Imaginäre real.

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