Vernünftigkeit statt Vernunft – Zum Bündnis Sahra Wagenknecht und seiner Anpassung an die Unvernunft der Realität

Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ reklamiert den Begriff der Vernunft sehr prominent für sich. Nicht nur fordert es in seinem Gründungsprogramm und dem Programm zur Europawahl 2024 „Wirtschaftliche Vernunft“, es hat „Vernunft und Gerechtigkeit“ gleich in den Parteinamen aufgenommen.

Nun lässt sich von einem substanziellen Verständnis von Vernunft allerdings in den Äußerungen der Partei wenig finden. Stattdessen adelt sie einen kleingeistigen Appell an die ‚Vernünftigkeit‘ zur Vernunft selbst. Vernünftigkeit kann man in Anlehnung an die Alltagsmahnung „Nun sei doch vernünftig!“ als die Anpassung an einen gesetzten Erwartungshorizont verstehen – man soll nicht aus dem Dekorum ausbrechen und der Realität im Rahmen sozialer Normen angemessen begegnen.

Dagegen stellt ein emphatischer Begriff von Vernunft, wie er das kritische Denken und die linke soziale Praxis leitet, gerade die Realität selbst auf den Prüfstand. Dieser Kontrast wird gerade in der oben bereits erwähnten Forderung einer „Wirtschaftlichen Vernunft“ deutlich. Denn, was hier eingefordert wird, ist keine vernünftige Wirtschaft, sondern letztlich eine pragmatische Anpassung an sie in ihrem wie auch immer gearteten Zustand. Es geht nicht darum, die Wirtschaft so einzurichten, dass sie ein gutes Leben für alle – auch künftige Generationen – ermöglicht, sondern zu den Profiteuren der gegebenen Verhältnisse zu gehören. Darum können die Bekämpfung der ökologischen Katastrophe und Migrationsgerechtigkeit auch hintangestellt werden.

Eine linke Perspektive darf sich aber vor der Unvernunft der Verhältnisse nicht ergeben. Hierzu mangelt es an anschaulichen Beispielen der jüngsten Vergangenheit nicht. Weiterhin fallen in den kapitalistischen Gegenwartsgesellschaften Produktion und Konsumption auseinander. Die gesteigerte Produktion führt nicht nur einer korrespondierenden Steigerung von Sicherheit und Glück für alle. Zugleich ist uns in den letzten Jahrzehnten wiederholt die Krisenhaftigkeit kapitalistischer Normalität vor Auge geführt worden. Dabei sehen wir unser Wirtschaften als eine Naturverhältnis an, dessen Schicksalsschlägen wir passiv ausgeliefert sind. In der Klimapolitik reiben wir uns in dem Konflikt von notwendiger ökologischer Disruption und deren Sozialverträglichkeit auf, häufig ohne in den Blick zu bekommen, dass er selbst Konsequenz der Einrichtung unseres Wirtschaftens ist, dass materieller Wachstum Voraussetzung der Wahrung unserer Existenzgrundlage zu sein scheint. Und auch in der Coronapandemie wurde ja wiederholt augenscheinlich, dass wir uns Abhängig von einem Wirtschaften gemacht haben, bei dem ein weniger an Konsum uns ärmer macht und in eine Krise zu stürzen droht. Nicht zuletzt ist bei der aktuellen Diskussion um Kriegsvergessenheit und Kriegstüchtigkeit nicht bei einer Anpassung an die Realität des Krieges stehen zu bleiben, bestehe sie in der Forderung westlicher Waffenproduktion und stärkerer Militarisierung oder in einer passiven Hinnahme des russländischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Namen vermeintlicher ‚realistischer‘ Eigeninteressen. Stattdessen ist der Skandal einer Welt, in der die Menschheit erhebliche Anteile ihrer produktiven Potentiale in Zerstörung und Vernichtung steckt im Bewusstsein zu halten.

Aus all dem ergeben sich keine einfachen Lösungen und keine politisch eindeutigen Rezepte. Aber ohne diesen Horizont, den Blick über die Bloße Anpassung an die unvernünftigen Verhältnisse hinaus, lässt sich eine progressive Politik, die irgendetwas mit Vernunft zu tun haben will, nicht machen. Beim „Bündnis Sahra Wagenknecht“ findet man davon nichts. Sie plädiert gerade für ein Akzeptieren der Unvernunft: Sie verspricht Wohlstand durch Ausschluss (von Migrant*innen, von anderen Gerechtigkeits- und Inklusionsforderungen …), sie will die sozialen Folgen der ökologischen Transformation abstellen, indem sie diese in die Zukunft verschiebt, sie will den Frieden als Kompromiss mit dem Krieg.

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