Nationalismus und Demokratie – zwischen Integration und Desintegration

In der aktuellen Ausgabe des Merkur hat Claudia Gatzka einen interessanten Artikel zur Zeitgeschichte des Nationalismus geschrieben. Gatzka fasst Nationalismus nicht als das andere (realer) liberaler Demokratien, sondern als einen mehr oder weniger integrierten oder desintegrierten Bestandteil von diesen. Vor diesem Hintergrund wäre das Auftreten und Erstarken der AfD weniger als ein Neuentstehen nationalistischer Positionen zu verstehen, sondern als ein Prozess deren Desintegration – etwa in iberale oder lonservative Parteien (Gatzka 2023: besonders 19 f.).

Ich glaube, dass muss man dialektischer als ein Zwischenspiel zwischen Integrations- und Desintegrationsdynamiken fassen. Es scheint mir richtig, dass die öffentliche Sichtbarkeit nationalistischer und extrem Rechter Positionen nicht auf deren gesellschaftliche Existenz zurückprojiziert werden sollte. Die Forschung zur extremen Rechten hat in vielen Varianten die große Kontinuität entsprechender Meinungen und Einstellungsmuster nachgewiesen (klassisch etwa Greifenhagen).

Nimmt man radikaldemokratische Ansätze ernst, so ist aber auch der antagonistisch ausgetragene Streit eine Form der Integration in Demokratie (Rasch 2004). Vor diesem Hintergrund wäre der Aufstieg der AfD vermutlich sowohl als ein Desintegrations- als auch ein Integrationsprozess zu verstehen. Einerseits findet eine Desintegration nationalistischer Perspektiven aus dem konservativen Lager statt. Anderseits lässt sich aber auch eine Integration extrem Rechter Perspektiven in die parlamentarische Ordnung auffassen. Die AfD macht bestimmte (unter anderem eben faschistische) Positionen neu und anders sprech- und hörbar.

Hier muss allerdings einem Missverständnis  entgegengewirkt werden, was nicht selten in ‚Normalistischen‘ Einschätzungen zur AfD vorzufinden ist, die genau diese Integration beobachten und daraus schließen, dass die AfD einfach ein ‚ganz normaler‘ Teil des Parlamentarismus ist, die Institutionen von ihren Anfeindung ungetrübt, und alles schon seinen geordneten demokratischen Gang geht. Es wäre dementgegen Integration nicht einfach mit demokratischer Unschädlichmachung des antidemokratischen Radikalismus gelichzusetzen. Vielmehr sind sowohl die Desintegration als auch die Integration als Demokratisch heikle Prozesse zu fassen. Denn Demokratie kann von außen wie von innen unterminiert werden. Integration ist in Demokratie nie Absorption (oder „Assimilation“), sondern immer Veränderungen durch das, was sie Aufnimmt unterworfen. Wenn man so will, kann sich Demokratie an dem, was sie frisst, verschlucken – und genau das war ja letztlich immer das Ziel legalistischer antidemokratischer Strategien.

LITERATUR:

Gatzka, C. (2023): Nationalismus in der Zeitgeschichte. Merkur, 77(886), 5–20.

Greifenhagen, M. (1981): 5 Millionen Deutsche: „Wir sollten wieder einen Führer haben … “. Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Rasch, W. (2004): Sovereignty and its Discontents. On the Primacy of Conflict and the Structure of the Political. London: Birkbeck Law Press.

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