Nationalismus und Demokratie – zwischen Integration und Desintegration

In der aktuellen Ausgabe des Merkur hat Claudia Gatzka einen interessanten Artikel zur Zeitgeschichte des Nationalismus geschrieben. Gatzka fasst Nationalismus nicht als das andere (realer) liberaler Demokratien, sondern als einen mehr oder weniger integrierten oder desintegrierten Bestandteil von diesen. Vor diesem Hintergrund wäre das Auftreten und Erstarken der AfD weniger als ein Neuentstehen nationalistischer Positionen zu verstehen, sondern als ein Prozess deren Desintegration – etwa in iberale oder lonservative Parteien (Gatzka 2023: besonders 19 f.).

„Nationalismus und Demokratie – zwischen Integration und Desintegration“ weiterlesen

Russifizierter Sozialismus?

Für mich ist immer wieder schwierig zu verstehen, dass die Linke zum Teil immer noch eine letztlich nationalistisch verkürzte Vorstellung des Erbes der Sowjetunion hat. Man möchte meinen, dass die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus auch die kritische Reflexion dessen Russifizierungsbemühungen kritisch durchgearbeitet hätte. Und auch der Postsozialismus böte einer internationalistischen Linken eigentlich wenig Anhaltspunkte für Sympathien gegenüber nationalistisch-imperialen Geschichtsdeutungen. Aber wenn Russland angesichts einer unrühmlichen Tradition antikommunistischer und antislawischer Ressentiments verteidigt wird, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass diese Ressentiments sich eben auch gegen Ukrainer*innen richteten, oder wenn der Roten Armee zum Tag der Befreiung „trotz“ aktueller politischer Geschehnisse gedankt wird, wie soll man das anders verstehen, als das Russland eine besondere und privilegierte Verbindung zum historischen Sozialismus habe? Und was heißt das anderes, als dass die Linke einer nationalistischen (Re-)Interpretation dieses historischen Sozialismus auf den Leim geht?

Grenzen der Ideologie

Die Hinwendung zur Ideologie, zum sogenannten Überbau, die in der westlich-marxistisch geprägten Theorie seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu beobachten ist  – hierin gehen Gramasci mit Lukács, die Cultural Studies mit stukturalistische Marxisten und Kritischer Theorie bei allen Unterschieden zusammen – war und ist wichtig gegen den Reduktionismus eines ökonomistischen Marxismus. Ideologie ist kein Epiphänomen, dem unabhängige Wesensmechanismen des Kapitalismus gegenüberzustellen wären. Vielmehr gehört sie essentiel zu seinen verschiedenen Reproduktionsformen. Aber sich der Manigfaltigkeit ihrer Erscheinungsformen intensiv zu widmen, stellt, bei allem was man dabei an notwendiger Einsicht gewinnt, zugleich vor ein Problem. Schnell fängt die je-lokale Ideologie uns ein, und macht ihre Grenzen zu den Grenzen unseres Denkens. Die Nation, vornehmlicher Ideologiezauber, wird nicht nur zum Gegenstand der Kritik, sondern auch zu ihrem Rahmen. Aufgabe wäre es aber, weder den Blick auf die spezifischen Ideologeme zu verlieren, noch auf die allgemeinere, weitere, transnationale, globale Perspektive, die einst wichtiges kennzeichen linker Theorie war.