Zukunftsnostalgie

Nostalgie ist ursprünglich eine Rückübersetzung von „Heimweh“ ins Griechische, die von Johannes Hofer in seiner Dissertation von 1688 eingeführt wurde. Im 20. Jahrhundert wurde diese räumliche Sehnsucht typischerweise in eine Zeitliche Sehnsucht nach einer (verklärten) Vergangenheit umgedeutet (Becker & Stach 2021: 9).

Interessant ist es einen Rückbezug auf die „Heimat“ zu machen, sofern sie nicht die dumpf verklärte Herkunft bezeichnet, sondern selbst „utopisch“ gefasst wird (ein weiterer Begriff, der quasi spiegelbildlich von einer räumlichen zu einer temporalen Bestimmung übergeht, hier aber eben vom „anderen“, nicht „eigenen“ Ort auf ein Noch-Nicht, auf Zukunft). Ernst Bloch hat sich (je nach Geschmack dialektisch oder paradoxal) um einen utopischen Heimatbegriff bemüht, wenn er diese als etwas beschreibt „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“ (Bloch 1985 Bd. 2, S. 1628).

Dies aufgreifend kann man fragen, ob nicht auch eine Zukunftsnostalgie zu bedenken wäre, die Sehnsucht nach der Zukunft, die zugleich die Sehnsucht nach dem ganz anderen ist, als auch die Sehnsucht nach einer Heimat, die nicht trübe Schicksalsgemeinschaft wäre, sondern ein Zu-Sich-Kommen in der Emanzipation.

Diese Zukunftsnostalgie wäre ein Gegenmotiv zur Retromania (Reynolds). Sie verstrickt sich nicht in der emotional verklärten Vergangenheit, weder als vermeidlich absolutem Urgrund noch als bodenloses Netz der (Rück-)Verweise. Auch geht sie nicht in der zerstreuten Faktizität der Gegenwart auf, im bloß neutralen Verzeichnen des Seienden.
Zukunftsnostalgie baut eine auch emotionale Brücke in das Zukünftige, nicht im Sinne einer bloß denkbaren zukünftigen Welt, sondern im Sinne eines konkreten, lebendigen Vorgriffs, der uns ergreift und ein Eingreifen motiviert.

Literaturangaben

Becker, T., Stach, S. (2021): Nostalgie. Historische Annäherungen an ein modernes Unbehagen. Zeithistorische Forschungen, 18(1), 7-20.

Bloch, E. (1985): Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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