Langsam zeichnet sich ab, dass der Abwärtstrend der Verbreitung des Corona-Virus vorbei ist. Der 7-Tage-R-Wert liegt seit Tagen um 1. Und statt jetzt mit vergleichsweise wenig Aufwand „ZeroCovid“ anzustreben, stimmt Armin Laschet mal wieder auf eine Aussitz-„Strategie“ ein und bemüht dazu die bekannte Leerformel vom „mit dem Virus leben“ – was ja heißt, das Sterben mit dem Virus nicht ganz so energisch zu bekämpfen. Und das, obwohl wissenschaftlich klar ist, dass die Impfquote keineswegs so ist, dass nichts mehr zu befürchten wäre (siehe auch England). Man setzt also mal wieder auf die ineffizienteste Entscheidung. Denn an dem Punkt, an dem man das Aussitzen nicht mehr durchhalten kann, ist das Bremsen dann extrem teuer. Das muss man keinem mehr erklären. Ignoriert wird es trotzdem.
Auch hinreichend bekannt und benannt: Bei partieller Impfung der Bevölkerung und gleichzeitigem Versuch die Infektionsentwicklung auszusitzen, entscheidet man sich de facto für eine Durchseuchung des Rests der Bevölkerung. Da wird dann häufig von „den Kindern“ gesprochen. Aber: Wenn man Grunderkenntnisse der Soziologie berücksichtigt, ist klar, dass es nicht alle Kinder gleich treffen wird. Dazu möchte ich hier ein paar Worte verlieren.
Nico Dragano hat letzte Woche im Synapsen-Podcast auf eine ganze Reihe von Effekten hingewiesen, die soziologisch wenig überraschen, in den Pandempieplänen bisher aber leider weitgehend ausgeblendet werden. Daraus möchte ich zwei Aspekte aufgreifen, die in Kombination erahnen lassen, was aus einer Weiterverfolgung der Laschet’schen Aussitz-„Strategie“ folgt: eine doppelte Belastung für sozioökonomisch benachteiligte Kinder.
Nicht nur, sind sie einem besonderen Risiko ausgesetzt, weil sie wie alle Kinder nicht – oder jedenfalls in einem zu vernachlässigenden Umfang – geimpft werden. Wie Dragano festhält, ist (1) fest davon auszugehen, dass sozial benachteiligte und exkludierte Bevölkerungsgruppen zu einem deutlich geringeren Anteil geimpft sind als privilegierte Gruppen. In Deutschland fehlen hierzu bisher verlässliche Zahlen, in anderen Ländern und bei Influenza-Impfungen ist das gut belegt. (2) Ist bekannt, dass Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Familien gesundheitlich deutlich schlechter aufgestellt sind als ihre Altersgenossinnen. Das hat angesichts des inzwischen allgemein bekannten deutlichen Zusammenhangs einer COVID-19-Erkrankung mit Vorerkrankungen zur Folge, dass diese Kinder ein erhöhtes Risiko haben, auch schwer zu Erkranken und langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen davon zu tragen.
Das heißt aber zusammengenommen: Diese Kinder sind nicht durch Impfungen geschützt. Ihr Risiko einer Ansteckung ist dadurch besonders hoch, dass sie einen höheren Anteil ungeimpfter Personen in ihrem Lebensumfeld haben. Und ihr Risiko schwer zu erkranken, wenn sie sich anstecken, ist durch sozial determinierte „Komorbiditäten“ noch einmal erhöht. Damit droht sich die soziale Schieflage, mit der das Virus in der Bevölkerung getobt hat, an diesem Punkt der Pandemie noch einmal zu verstärken.
Vor diesem Hintergrund sind Aktionen zur „aufsuchenden“ Impfkampagne, wie diese in Bochum, wichtig. Aber sie werden das beschriebene Problem höchsten abmildern. Noch entscheidender ist wohl, wie grenzenlos wir es dem Virus jetzt erlauben, sich da auszubreiten, wo noch nicht geimpft ist. Es bleibt also die Frage: Bestehen wir wirklich darauf, den gleichen Fehler immer wieder zu wiederholen. Wenn ja, dass nehmen wir eine (weitere) massive gesundheitliche Benachteiligung entlang sozialer Ungleichheit in Kauf, die sich über Jahrzehnte in die Bevölkerung einschreiben wird.