Überwachung und Souveränität

1. Man darf nicht der Rationalitätsfiktion der Überwachung glauben. Immer wieder werden die Wunder der Technik beschrieben, nach denen vermeintlich schon jede unser Regungen nicht nur erfasst werden kann, sondern gar vorausgesagt. Dies übersieht, wie schlecht die Technik tatsächlich funktioniert. Dietmar Kammerer weist in Bilder der Überwachung darauf hin, wie wenig Videoüberwachung das leistet, wofür sie gedacht ist. Und wer in den ‚Genuss‘ personalisierter Werbung gekommen ist, weiß, dass das Angebotene nur selten, bestimmt aber nicht aufs genauste, den eigenen Wünschen oder Bedürfnissen entspricht.

2. Nicht der Rationalitätsfiktion der Überwachung zu glauben, heißt aber keinesfalls, ihre reellen Effekte zu leugnen. Diese Effekte können einmal auf einer symbolischen Ebene liegen. So wird vor verhaltensverändernden Wirkungen gewarnt, die das Wissen ums Überwachtwerden entfalten könne. Hierauf wird wohl beim Anbringen demonstrativer Kameras, am besten überdimensioniert und mit Blinklicht, abgezielt. Andererseits produziert auch die nicht-popularisierte Überwachung der Geheimdienste Daten, auf deren Grundlage gehandelt wird. Einreiseverbote, staatliche Repressionen, öffentliche Inkriminierung etc. wirken, egal ob sie auf einer funktionierenden Technik beruhen oder nicht. Die Handlungen aufgrund von geheimen Daten begegnen dem Einzelnen als willkürliche Macht. Wie man auf Listen der personae non gratae kommt, kann nicht nachvollzogen werden, noch kann dagegen angegangen werden. Erst recht nicht muss die Stigmatisierung aufgrund von tatsächlichen Vergehen anhand eindeutiger Kriterien nachgewiesen werden. Bei der Umstellung der Exekutive auf Prävention, wird das Recht depotenziert (vgl. Opitz 2011). Nicht nur schaffen die von Edward Snowden ins öffentliche Bewusstsein gebrachten Praktiken der NSA und GCHQ die Privatsphäre ab. Das eigentlich Dystopische wird erst in Verbindung mit den je-lokalen ‚Autoritäten‘ deutlich. Im Paradigma der Alleserfassung wird jeglicher Entzug verdächtig. In der falschen Konstellation wird es verdächtig oder gar Indiz für kriminelles Verhalten, E-Mails zu verschlüsseln oder ein Handy auszuschalten (Holm/Roth 2010). Wer etwas verbirgt, so scheint das Motto zu sein, muss auch etwas zu verbergen haben! Und so wird letztlich selbst das Recht auf Privatsphäre abgeschafft, indem allein ihre Existenz potenziell in ein  Schuldeingeständnis verwandelt wird.

3. Zwei Arten von Souveränität werden bei der Aufregung übers Prism-Programm vermengt. Dies spielt einer verkürzten Kritik in die Hände, die letztlich den Bürgerinnen nur bedingt nutzt. Als Deutungsrahmen sowohl des Programms selbst als auch der politischen Reaktionen auf es wird das Konzept einer nationalen Souveränität herangezogen. Die Überwachung durch die NSA wird als Mangel als dieser dargestellt, der (nun endlich) zu beheben wäre. Sehr explizit formuliert diese Sicht Ranga Yogeshwar im Interview mit Dietmar Dath, wenn er sagt:

„Vielleicht sind gesetzliche Regelungen schon deshalb schwierig, weil wir Bürger womöglich in einer Illusion leben, wenn wir denken, es gäbe da einen nationalen Rahmen für die gesetzliche Seite, wir seien eine unabhängige Nation, und nicht merken, dass wir durch die Hintertür die Souveränität aufgegeben haben. Der Kalte Krieg ist vorbei, und es ist an der Zeit, dass wir eine neue Unabhängigkeit etablieren.“ (Yogeshwar 2013)

Das Verhalten deutscher Politikerinnen wird dementsprechend als ein Einknicken vor den Allmächtigen USA interpretiert. Klaus Brinkbäumer etwa, wirft Merkel vor, – aus welchen Gründen auch immer – nicht das Notwendige zu tun.

„Die deutsche Regierung verhält sich verheerend schwach. Merkel müsste sagen: Ihr seid manisch, und was ihr da tut, ist krank. Freunden sagen so etwas. Stattdessen wägt sie jedes Wort ab, will bloß die USA nicht verprellen.“ (Brinkbäumer 2013)

Noch deutlicher macht diese Vorstellung – die deutschen Politiker wollen ja, aber sie kuschen vorm mächtigen Amerika – eine Karikatur von Klaus Stuttmann, die den Innenminister Hans-Peter Friedrich, vor dem erhöht sitzenden Chef der NSA unterwürfig auf dem Boden liegend zeigt und ihm die angesichts der Szene lächerlichen Worte in den Mund legt: „Jetzt reden wir mal Tacheles!!“.

Klaus Stuttmann: Friedrich spricht Tacheles

Nicht nur, dass das Gerede von der „Illusion“ einer „unabhängigen Nation“ gefährliches Futter für die von Rechtsradikalen seit jeher gepflegte These einer Fremdbeherrschung des „deutschen Volkes“ liefert. Hört man Friedrich zu, so drängt sich die Frage auf, woher die Idee kommen kann, er wolle überhaupt an irgendeinem Punkt „Tacheles“ reden. Ein Teil der von der NSA und der  GCHQ ausgeübten Praktiken ist dezidierter Wunsch auch des Innenministeriums (Vorratsdatenspeicherung…). Und so wird Friedrich auch nicht müde, den großen Nutzen der von den amerikanischen Behörden weitergegebenen Daten zu betonen.

Wenn die von Snowden öffentlich gemachten Vorgänge Anlass zum Nachdenken über Souveränität geben sollten, dann nicht so sehr die der Nation. Samuel M. Makinda weist darauf hin, dass sich im politischen Denken stets zwei Souveränitätsgedanken gegenüberstanden. Auf der einen Seite die Souveränität eines Staates gegen die anderen, wie sie im internationalen Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten zum Ausdruck kommt. Auf der anderen Seite aber, in der liberalen Tradition, eine Souveränität des Volkes gegen den Staat (Makinda 1998: 282 f.). Diese letzte Souveränität, die gegen den Staat, und nicht die des deutschen Staates gegen andere, ist es, um die wir uns sorgen machen sollten. Indem aber scheinbar die Souveränität gegen den Staat durch die Staatssouveränität verteidigt werden soll, verwischt man letztlich das eigentlich Beunruhigende an den politischen Reaktionen in Deutschland. Nicht weil Friedrich vor den Amerikanern kuschen muss, ist er so still. Nicht weil Deutschland gegenüber den USA nicht souverän wäre. Sondern weil er wesentlich dieselben Interessen verfolgt wie die NSA. Weil für ihn die Bevölkerung eine zu kontrollierende Größe ist. „Unsere“ Souveränität ist nicht mit Friedrich zu verwirklichen, sondern gegen ihn.

4. Dies öffnet den Blick auf die Notwendigkeit einer tiefergreifenden Kritik. Angst haben müssen wir nicht allein vor dem bösen abstrakten Gespenst der großen NSA, die ihre Agenten schickt um uns zu erledigen. Gefährlich werden die Daten vielmehr gerade im Zusammenspiel der Geheimdienste und Behörden vor Ort. Und dass diese, ganz konkret und nachweisbar, auch in Deutschland ein gefährliches Eigenleben führen, hat auf traurige und wütend machende Weise der NSU Fall wieder und wieder und wieder vor Augen gestellt. Eine Kritik, die die Staatssouveränität zum obersten Gut erhebt, mag gut anschlussfähig sein an Ressentiments gegenüber einem Amerika, dem man sich unterlegen fühlt. Sie führt aber nicht zur Souveränität der Bürgerin, sondern will nur einen anderen Herren suchen, einen anderen Überwacher.

|° Brinkbäumer, Klaus 2013: Amerikas Wahn, Der Spiegel 29/2013.
|° Holm, Andrej/Roth, Anne 2010: Anti-terror Investigations against Social-Movements – A Personal Experience of a Preventive Threat, in: Florian Hessdörfer/Andrea Pabst/Peter Ullrich (Hg.): Prevent and Tame. Protest under (Self)Control, Berlin: Dietz S. 49–54.
|° Kammerer, Dietmar 2008: Bilder der Überwachung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
|° Makinda, Samuel M. 1998: Sovereignty and Global Security, Security Dialogue, 29, 3, S. 281–292.
|° Opitz, Sven 2011: Widerstreitende Temporalitäten: Recht in Zeiten des Risikos, Behemoth, 4, 2, S. 58–82.
|° Yogeshwar, Ranga 2013: Rechnen Sie damit, lebenslang ein Verdächtiger zu sein, Interview mit Dietmar Dath, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.7.2013.

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