Nullschrumpfsprachen

Der Versuch der Piratenpartei, neue Arten der Diskussion und Entscheidungsfindung zu etablieren, wurde von vielen Seiten mit Sympathie verfolgt. Uns so konnte auch die Antwortverweigerung von ‚Kapitäninnen‘ der Piraten mit Verweis auf demokratische Prozesse, in denen die Antwort erst entschieden wird, anfangs noch als Zeichen eines anderen Politikstils verstanden werden. Inzwischen werden solche Antwortverweigerungen allerdings Teil eines sehr gewöhnlichen Politbetriebs. Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piraten, im Gespräch mit Katja Kipping:

„Das wird ein Bundesvorsitzender der Piratenpartei nicht auf einem Podium vorgeben und entscheiden, welche Richtung die Piratenpartei in Wirtschaft und Steuern und finanzpolitischen Dingen geht. Das was ich… (Applaus) Das was ich einmal in einem Interview gesagt habe war der Versuch einer Beschreibung worüber die Piratenpartei hinsichtlich der Steuerpolitik nachdenken. Und das Beschließen wird letztendlich immer ein Bundesparteitag, nicht der Bundesvorstand oder ein Bundesvorsitzender. Es gibt eine Diskussion – insofern ist es eine Werkstattdiskussion – ein einfaches, klares und transparentest Abgabensystem vorzuschlagen, das natürlich auf Gerechtigkeit setzt.“ (29:20 min)

…und etwas später:

„Aber das sind Dinge, die nicht ich entscheide, sondern das sind Dinge die letztendlich derzeit von verschiedenen… […] Das sind Dinge die letztlich in der Piratenpartei von Arbeitsgruppen von Initiativen von Mensch, die sich diesen Herausforderungen, Problemfragen stellen wollen, gelöst werden und dann vom Bundesparteitag entschieden werden.“ (30:29 min)

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=1xh87WfnwcU]

Nachdem Schlömer also den inzwischen wohl schon routinierten Applaus dafür bekommt, nicht auf die Frage zu antworten, beschreibt er – mal wieder – viel lieber den Entscheidungsfindungsprozess bei den Piraten. Bloß: sieht man sich die Beschreibung an, dann fragt man sich, bei welcher Partei es anders ist.

„Das wird ein Bundesvorsitzender der Piratenpartei nicht auf einem Podium vorgeben und entscheiden, welche Richtung die Piratenpartei in Wirtschaft und Steuern und finanzpolitischen Dingen geht.“

Welcher Vorsitzender welcher Partei entscheidet denn auf einem Podium und gibt auf ihm vor, was die Richtung seiner Partei ist? Offensichtlich ist hier das Normale von dem sich die Piraten abgrenzen lediglich ein Popanz.

„Und das Beschließen wird letztendlich immer ein Bundesparteitag, nicht der Bundesvorstand oder ein Bundesvorsitzender.“

Ja, so ist das. Bei allen. Dafür gibt es Parteitage.

„Das sind Dinge die letztlich in der Piratenpartei von Arbeitsgruppen von Initiativen von Mensch, die sich diesen Herausforderungen, Problemfragen stellen wollen gelöst werden und dann vom Bundesparteitag entschieden werden“

Interessantes vorgehen. Wie macht die CDU das?

Und wenn Schlömer sich dann doch mal zu einer inhaltlichen Aussage hinreißen lässt…

„Es gibt eine Diskussion – insofern ist es eine Werkstattdiskussion – ein einfaches, klares und transparentest Abgabensystem vorzuschlagen, das natürlich auf Gerechtigkeit setzt.“

…klingt es in etwa nach jedem Vorschlag der jemals zum Steuersystem gemacht wurde. Zumindest ich habe noch nie jemanden gehört, der ein kompliziertes, unklarereres, intransparenteres und ungerechteres Abgabensystem fordert.

Dabei geht es natürlich nicht darum zu leugnen, dass ein Mehr an Demokratie und Beteiligung innerparteilich wünschenswert ist. Es geht lediglich darum festzustellen, dass während die Piratenpartei immer wieder ihren ‚neuen Politikstil‘ predigen, sie gerade in diesen Mantren längst nur noch ein neues Register in dem bedienen, was Dieter Hildebrandt einst treffend Nullschrumpfsprache genannt hat.

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