Schichtungen – über Gertrude Steins und Patrik Ouředníks Vermessungen des 20. Jahrhunderts

In seiner intermedialen Performance Everything that happened and would happen bezieht Heiner Goebbels sich neben Patrik Ouředníks Europeana auch auf Gertrude Steins Kriege die ich gesehen habe. Das ist zunächst überraschend, ist das Spätwerk Steins doch eine Art assoziativer Zeitzeugenbericht des Alltags während des Zweiten Weltkriegs im sog. Vichy-Regime, der zuerst 1945 erschienen ist. Diesem, zum Teil sehr persönlichen, Bericht aus der Mitte des 20. Jahrhunderts steht bei Ouředník eine Ich-lose und retrospektive Komposition von mannigfaltigen Perspektiven und Positionen entgegen. Während Steins Buch von Erfahrung lebt, von einer subjektiven Perspektive, die in ihrer assoziativen und ungefilterten Narration auch nicht von den eigenen Ressen­timents, Irrtümern und Egozen­trismen bereinigt ist, erschließt sich Ouředníks Buch eher ausgehend von einer spezifischen Form der Distanznahme – eine Reflexion und Metakritik der unzähligen intellektuellen Zugriffe auf das 20 Jahrhundert.

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Die (Un-)Möglichkeit der Geschichte – Anmerkungen zu Heiner Goebbels’ „Everything that happens and would happen“

„Und 1989 entwickelte ein amerikanischer Politikwissenschaftler eine Theorie über das Ende der Weltgeschichte. … Doch viele Leute wussten nichts von dieser Theorie und schrieben weiterhin Geschichte, als sei nichts passiert.“ Mit diesem Zitat aus Patrik Ouředníks Roman „Europeana“ schließt Heiner Goebbels seine im Rahmen der Ruhrtriennale am 23. August 2019 uraufgeführte Inszenierung „Everything that happend and would happen“. Dieses Zitat kann aber zugleich auch als Ausgangspunkt der installativen Performance gelten, die sich – unter Rückgriff auf den Roman Ouředníks, Bildern des Euronews Programms „No Comment“ und Bühnenelementen der Aufführung von John Cages „Europeras 1 & 2“ bei der Ruhrtriennale 2012 – mit der (Un-)Möglichkeit einer Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt. Mit dem von Ouředník ausgewiesenenen „Nicht-Ende“ der Geschichte entzieht sich diese auch einer einheitlichen Geschichtsschreibung, die sich aus der rückblickenden Beschreibung von einem Ende aus und auf dieses hin darstellen ließe. Kurz: weil Geschichte weitergeht, gestritten und gekämpft wird, musste Perspektivierung des Gewesenen plural bleiben. Weil Geschichte nicht endet, bleibt sie offen und kommt ihre Beschreibung zu keinem Abschluss.

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