Die (Un-)Möglichkeit des Wohnens. Das Interieur als Ideologie und Utopie

Im vierten Abschnitt seiner Exposees zum Passagen-Projekt und den korrespondierenden Notizen wendet sich Walter Benjamin (1983a, S. 52 f.) der Frage des Wohnens zu. Der bürgerliche Wohnraum um die Mitte des 19. Jahrhunderts gilt ihm vor allem als Kompensation für die entfremdete und unpersönliche Welt, der durchrationalisierten und fremdbestimmten Arbeitsstätten und der anonymisierten und blasierten großstädtischen Öffentlichkeit, wie sie schon Georg Simmel (2009 zuerst 1903) beschrieben hatte. Im Zentrum dieser Sphäre der Privatheit stand das Interieur. In ihm wurden die Waren-Dinge zu Symbol-Dingen: sie erfuhren eine Aufladung mit spezifischer Bedeutung. Ästhetisch und haptisch wird zudem den rohen, kalten und glatten Flächen der Räume der Nützlichkeit das Weiche, das Überzogene und Behangene entgegengehalten, in die sich die Spuren der Bewohner*innen einschrieben. Mit Benjamin kann man das Wohnen dieser Zeit im Wesentlichen als ideologisch fassen: die ästhetische und symbolische Gegenwelt ankerte im Bestreben des Bürgertums, „sich für die Spurlosigkeit des Privatlebens in der großen Stadt zu entschädigen“, wie Benjamin an einer verwandten Stelle seines Baudelaire-Buches bemerkt (Benjamin 2011, S. 754).

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