Die Vorstellung einer Architektur als Ausdruck von Gesellschaft steht vor dem Problem, dass Gesellschaft keine Einheit ist. Darin sind sich zumindest kritische Soziologische Theorien einig, ob Marx oder Bourdieu, die Konflikte und Kämpfe als wesentlichen Moment der gesellschaftlichen Konstitution sehen (mit Verweis auf Bourdieu Dieluweit 2019, 14). Weiter kommt man, wenn man den Blick umkehrt. Architektur projiziert Gesellschaft als einheitlich, indem sie Partikulares als universale Repräsentation des Gesellschaftlichen erscheinen lässt und als solches auf Gesellschaft zurückführt (eben auf die Verweist die Rede von der imaginären Konstitution, die Heike Delitz (2009) für die Architektursoziologie von Cornelius Castoriadis (1990) aufgreift).
„Arbeitsarchitektur zwischen Einheitsprojektion und gesellschaftlichem Konflikt“ weiterlesenDie (Un-)Möglichkeit des Wohnens. Das Interieur als Ideologie und Utopie
Im vierten Abschnitt seiner Exposees zum Passagen-Projekt und den korrespondierenden Notizen wendet sich Walter Benjamin (1983a, S. 52 f.) der Frage des Wohnens zu. Der bürgerliche Wohnraum um die Mitte des 19. Jahrhunderts gilt ihm vor allem als Kompensation für die entfremdete und unpersönliche Welt, der durchrationalisierten und fremdbestimmten Arbeitsstätten und der anonymisierten und blasierten großstädtischen Öffentlichkeit, wie sie schon Georg Simmel (2009 zuerst 1903) beschrieben hatte. Im Zentrum dieser Sphäre der Privatheit stand das Interieur. In ihm wurden die Waren-Dinge zu Symbol-Dingen: sie erfuhren eine Aufladung mit spezifischer Bedeutung. Ästhetisch und haptisch wird zudem den rohen, kalten und glatten Flächen der Räume der Nützlichkeit das Weiche, das Überzogene und Behangene entgegengehalten, in die sich die Spuren der Bewohner*innen einschrieben. Mit Benjamin kann man das Wohnen dieser Zeit im Wesentlichen als ideologisch fassen: die ästhetische und symbolische Gegenwelt ankerte im Bestreben des Bürgertums, „sich für die Spurlosigkeit des Privatlebens in der großen Stadt zu entschädigen“, wie Benjamin an einer verwandten Stelle seines Baudelaire-Buches bemerkt (Benjamin 2011, S. 754).
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