Kapitalismuskritik fristet heute ein paradoxes Dasein. Einerseits erfreut sie sich als grobe und handfertige Universalerklärung allen Übels großer Beliebtheit. Andererseits wird sie als blinder und vielleicht auch impotenter Radikalismus zugunsten sozialtechnologischer Lösungen zurückgewiesen. Dass sie aber zwischen diesen Polen auch heute eine Berechtigung hat, wird deutlich, wenn man sich die konkrete Beschränktheit im Umgang mit vielen gesellschaftlichen Herausforderungen anschaut. Auch aus linker Perspektive, verbleibt Kritik oft im Status der Kapitalismusfolgenkritik. In einer solchen werden kapitalismusspezifische Zusammenhänge und ‚Gesetze‘ als selbstverständlich und unhinterfragbar hingenommen. So werden nicht die sozialen Mechanismen kritisiert, die das Feld politische Handlungsmöglichkeiten in seiner gegeben Form hervorbringen. Stattdessen bleiben Proteste häufig in dem durch diese Mechanismen eingesetzten Verhängnis verfangen. Hier kommt ein klassisches Motiv der Kapitalismuskritik zur Geltung: Der Kapitalismus ist eine Verhängnismaschine – oder, wenn man so will, zeitgemäßer, ein Verhängnisalgorithmus. Er lässt als notwendig erscheinen, was historisch kontingent hervorgebracht ist, und knotet uns somit an die gegebenen Umstände. Eine kapitalismuskritische Perspektive drängt sich also immer dann auf, wenn Folgen politischen Handelns durch scheinbar unhintergehbare Gesetze begründet werden.
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