Homoverschwörungsparanoia

Der deutsche „Journalist und Autor“ Matthias Matussek zürnt gegen Stefan Niggemeier. Dieser hatte ihm mangelnde Lesekompetenz vorgeworfen, weil er es nicht geschafft hatte, einen (explizit erklärten) Fragebogen der GEW für Siebtklässler richtig zu verstehen. Durch Fragen, die Annahmen über heterosexuellen Menschen implizieren, die sonst häufig gegenüber homosexuellen Menschen bestehen, sollten die Schülerinnen auf diese Vorurteile gestoßen werden. Bezeichnend ist, dass Matthias Matussek den Vorwurf der mangelnden Lesekompetenz in seiner geifersabbernden Replik auf Stefan Niggemeier gleich noch einmal bestätigt. „Wo ist hier der Rollentausch fragt er?“ „Homoverschwörungsparanoia“ weiterlesen

Christinnen vs. Schule

Manchmal verrät, was gesagt wird, mehr als das, was gesagt werden soll. So wenn Birgit Kelle in der Maischberger-Sendung vom 11.2.2014 wissen lässt:

„Als Eltern bin ich machtlos, wenn ich einen Lehrer habe der meint, schon in der Grundschule, vor der ersten Klasse an, Dinge den Kindern beibringen zu müssen. Und das finde ich aus Elternsicht nicht befriedigend und deswegen finde ich es falsch hier Eltern zu stigmatisieren, die einfach sagen: Das geht uns alles zu weit.“ (31:03)

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=WQwZMh-RoH4&start=1863]

Ausgesprochen wird hier ungewollt etwas, was tatsächlich der rechts-christlichen Debatte um die Schule zugrunde liegt: dass nämlich die (halb-)säkulare allgemeinverpflichtende öffentliche Erziehung insgesamt als Zumutung erlebt wird. Die moralische Integrität der Familien wird dafür gegen den bösen übergriffigen Staat in Stellung gebracht. „Christinnen vs. Schule“ weiterlesen

Raum als Sprache

Der Raum ist wie Sprache  – nicht strukturiert wie eine Sprache. Soll heißen, er verhält sich zur Bewegung wie die Sprache (langue)  zum Sprechen (parole). Mit dem Satz, dass Raum wie Sprache ist, soll nicht einem textualistischem Raumverständnis das Wort geredet werden, das festlegt, wie im Raum zu ‚lesen‘ ist. Es geht nicht darum, eine Wesenseigenschaft des Raums festzustellen. Der Satz beschreibt vielmehr die Analogie eines Verhältnisses. Hierbei können zwei Aspekte als fruchtbar hervorgehoben werden.

  1.  Sprache und Raum sind im strukturalistischen Sinne Ermöglichungsstrukturen. So wie die Sprache bei Saussure häufig missverstanden wird als das Gesagte determinierend, wird oft von einer positiven Festlegung von Bewegung und Verhalten durch den Raum ausgegangen. Sprache öffnet, folgt man Saussure, aber vielmehr einen Raum des Sagbaren. Dieser ist nicht als restriktiv von außen zu betrachten – so etwa als könne man etwas, das man denkt, nicht sagen –, sondern von innen als produktiv. Das Gesagte lässt sich nie aus der Sprache ‚ableiten‘. Die Sprache ist die Möglichkeit, in der wir leben. Der Raum wäre zu untersuchen auf seine ‚Grammatik der Ermöglichung‘.
  2. So wie aber der Poststrukturalismus eine dichotome Relationierung von Sprache und Sprechen hat zusammenstürzen lassen, so ist Raum der Bewegung und dem Verhalten nicht in strukturalistischer Verkürzung als unabhängig vorauszusetzen. Die poststrukturalistische Kritik an der Dichotomie von Sprache und Sprechen erlaubt einen Impuls der Raumsoziologie theoretisch solider zu fassen: die Ko-Konstitution von Raum und sozialer Praxis. Wirkt Raum einerseits auf soziale Praxis, ist er andererseits doch auch durch diese hervorgebracht. Ob als Iterabilität (Derrida) oder indirekte Rede (Deleuze/Guattari), ohne das konkrete Sprechen keine Sprache. Judith Butler hat besonders Derridas Gedanken bereits für die Materialität des Körpers fruchtbar gemacht. Das Potenzial der poststrukturalistischen Konzeptionierung von Sprache und Sprechen – jenseits eines Textualismus – für die Analyse von Raum und verkörperter Praxis auszuloten, steht noch aus.

Opium fürs Volk

„Und Karl Marx behauptet einfach, die Religion sei Opium fürs Volk! Großartig, einfach Opium! Und der arme Vater hat noch nichs davon gemerkt! Denn wenn seine Migräne kommt, nützt eine schäbige Demalgon-Tablette mehr als zehn Opium-Gebete.“ – György Dalos, Der Gottsucher

Wo zu suchen ist

In der Hart aber Fair-Sendung vom 21.10.2013 widmet sich Frank Plasberg unter dem Label „Flüchtlinge“ unter anderem der Haltung der Deutschen gegenüber ZuwandererInnen aus Osteuropa. Auf die Äußerung des Wunsches durch Lucy Diakovska als Bulgarin nicht automatisch in einen Topf mit Kriminellen geworfen zu werden, erwidert der Präsident der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt:

[youtube=http://youtu.be/4A7NLFv7A1I&start=862] „Wo zu suchen ist“ weiterlesen

Materialismus

„Der Begriff der Materie ist im Kontext der materialistischen Theorie offener Erfahrung kein metaphysisches Prinzip, sondern nur die vorläufige Bezeichnung alles noch nicht Erkannten, Nichtidentischen.“

(Günter Mensching 1970: Thesen und Materialien
zu Hegels Verständnis des Materialismus)

Weg und Ziel

Motto einer antifundamentistischen Soziologie müsste der (freilich abgedroschene) Spruch sein: Der Weg ist das Ziel. In ihr kann jede soziologische Aussage selbst wieder Gegenstand soziologischer Untersuchung werden. Die Soziologie liegt nicht außerhalb ‚ihres‘ gegenständlichen Sozialen. In diesem Sinne, führt die Soziologie nirgendwo hin. Ihr Ziel kann es nicht sein, zu einem aus sich heraus bedeutendem Punkt zu kommen. Vielmehr ist sie eine Verschiebung – eine Reise –; in ihr kommt man vom einen zum anderen. Aber auch diese Verschiebung kann nicht aus sich heraus Wert beanspruchen. Erfrischendes und Ermüdendes der soziologischen Interventionen berühren sich hier in einem Punkt. Einerseits kann die Perspektivverschiebung neue Bezüge in den Blick rücken und so den Weg für neue Handlungsweisen freikratzen. Andererseits ist manchmal die Perspektivverschiebung schlicht ein Themenwechsel und eine überhebliche Art der Weigerung, sich mit der Frage der Gesprächspartnerin auseinanderzusetzen, nach der Art wie einst der molussische Professor auf die Frage der Studentin, was für Bedeutung die Neurowissenschaften für die Soziologie hätten, antwortete: Die Soziologie kann höchstens Neurowissenschaftler soziologisch beobachten.

Kleine Dialektik des Spiels

Das Spiel ist zugleich widerständige Praxis gegen den Kapitalismus als auch dessen miniatisierte reine Form. Widerständig, weil in seinem Selbstzweck es sich dem Imperativ der unmittelbaren Verwertbarkeit widersetzt. In seiner Imagination anderer Welten, die einer anderen Logik folgen – egal wie abstrakt diese sein mag – grenzt es ans Utopische. Zugleich aber liegt genau in diesem Einlassen auf die selbstzweckhafte Logik des Spiels das Wesen des Kapitalismus in Kleinform vor: das automatische Subjekt. Wie die Menschen durch dieses zur Anhängseln eines als natur- und schiksalhaft erfahrenen Laufs der Welt werden, der seinen Grund allein in sich selbst findet, ebenso verabsolutiert sich die doxa routinisierter Alltagspraktiken im Spiel zur reinen illusio, die sich auch nicht durch das volle Bewusstsein der Willkürlichkeit der so gesetzten Ordnung mehr beunruhigen lässt. Ist es beliebt, Monopoly dafür zu kritisieren, dass es Kinder auf die Logik des Kapitals abrichtet, wäre doch trefflicher zu kritisieren, dass es das Einlassen auf eine beliebige Logik, gar die Indentifikation mit ihr, einübt. Das Spiel lehrt die Frage nach dem Sinn des Ganzen nicht zu stellen.