Das Gespenst der „Infektionstreiber“ und der diskursive Kampf um die Verteilung der Pandemielasten

(Eine erweiterte Version dieses Beitrags ist der DiscourseNet Collaborative Working Paper Series unter dem Titel: ‚Infektionstreiber‘ im Corona-Diskurs: Der diskursive Kampf um die Lasten der Pandemiebekämpfung erschienen.)

„Infektionstreiber“ hat sich im letzten halben Jahr zu einen beliebten Begriff im Corona-Diskurs entwickelt. In einer jüngsten Diskussion ist mir aufgefallen, dass ich diesen Begriff eigentlich immer nur negierend kenne: dies und jenes sei kein Infektionstreiber. Dies kennt man wohl insbesondere aus der Diskussion um Schulschließungen und Präsenzunterricht, aber auch von der Diskussion um die Schließung von Restaurants im November. Ist das aber nur ein subjektiver Eindruck, oder sind die Infektionstreiber tatsächlich lediglich Gespenster, die den Diskurs als Spuren durchziehen, ohne je manifest und greifbar zu werden? Diese Frage habe ich als Anlass für eine Mini-Diskursanalyse mit Twitter-Daten genommen.

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Plakate und Backgrounds für #95vsWissZeitVG

Zum Reformationstag haben Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon eine Twitter-Aktion mit Thesen gegen das „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ angestoßen, das maßgeblich zur aktuellen Massenbefristung an deutschen Hochschulen beiträgt. Unter dem Hashtag #95vsWissZeitVG ist einiges zusammengekommen. Gestern haben die Initiator*innen nun eine Sammlung von 95 Thesen zum WissZeitVG vorgestellt, die unter https://95vswisszeitvg.wordpress.com/ zu finden ist.

Um es etwas leichter zu machen, diese Thesen nun auch physisch an allerlei Türen zu nageln und online sichtbar zu machen, habe ich die gesammelten Thesen in Plakate und Hintergründe für Online-Meetings verwandelt. Eine Zip-Datei mit allen Bildern (Wenn Probleme bei der Verwendung auftreten oder andere Formate gebraucht werden, gerne einfach kurz bescheid sagen.)

Ergänzend findet ihr auch T-Shirts und Tassen im #95vsWissZeitVG-Design in meinem Redububble-Profil (bei Tassen am besten „Classic Mug“ auswählen).
Wenn ihr selbst Tassen herstellen lassen wollt, findet ihr hier die Vorlagen, die ich für Redbubble erstellt habe: Transparent oder mit Papierhintergrund.

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Wider den Toleranzformalismus – Anmerkungen zu M. Revers & R. Traunmüller: „Is Free Speech in Danger on University Campus?“

Die Diskussionen um Cancel Culture, Meinungskorridore und einen vermeintlichen repressiven Moralismus von Links sind in den letzten Monaten heiß gelaufen. Dabei ist nicht zuletzt die Universität als Schauplatz solcher Auseinandersetzungen ausgemacht worden, was in besonderem Widerspruch zu ihrem Anspruch als Ort des freien Denkens und des ungehinderten Meinungsaustauschs gesehen wird. Eine Studie von Matthias Revers und Richard Traunmüller tritt nun an, diesen Streit empirisch zu erden. In einer Umfrage unter Studierenden der Universität Frankfurt, die sie als „a most likely case for PC culture“ (Revers/Traumüller 2020: 491) sehen, machen sie eine Intoleranz gegenüber abweichenden (und das heißt insbesondere: nicht linken) Sichtweisen sowie eine Selbstzensur von Studierenden aus. Allerdings hat die Anlage der Studie viele deutliche Lücken. Die Rolle als neutrale wissenschaftliche Empiriker, die Rovers und Traunmüller für sich in Anspruch nehmen, bröckelt mit Blick auf die Rahmung und Vorannahmen des Artikels.

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Trump, Präsidentialismus und die Einheitsfiktion des Volkes – oder: Auf zu einer Repräsentation der Vielheit

In Der achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte verweist Karl Marx ausgehend von der Verfassung der zweiten französischen Republik vom 4. November 1848 auf die Widersprüche einer präsidialen Republik. Diese sieht er unter anderem darin, dass der Präsident zugleich eine Art Nachfolger des Königs ist, als auch institutionell in Schach gehalten werden soll – ein König auf Zeit, nicht von Gnaden Gottes, sondern des Volkes (qua Direktwahl), und neben ein wenigstens gleichgestelltes Parlament gestellt.

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„Die Ängstlichen“ – Angst und stochastischer Selbsttechnik

Lehnt man im Kontext der Corona-Pandemie bestimmte Handlungen ab, besteht man etwa auf dem Tragen einer Maske in einer kleineren Gruppe etc., so wird dies schnell als Folge eines subjektiven und emotionalen Zustandes gedeutet – man sei verunsichert und ängstlich, reagiert deshalb über, so die Annahme. Elizabeth Stokoe hat in diesem Zusammenhang in einer kleinen Reihe von Tweets vorgeschlagen, die „Ängstlichen“ als eine Art membership category zu fassen. Als Mitgliedskategoriesierungen bezeichnet die Konversationsanalyse – sehr grob gesprochen – Einordnungen von Menschen in Kollektivbezeichungen, die mit Vorstellungen darüber einhergehen, wie diese Menschen sind, wie sie sich Verhalten und wie sie zu Menschen, die mit anderen Kategorien bezeichnet werden, in Beziehung stehen. Mit den „Ängstlichen“, so scheint es, werden Handlungen in einem Typ von Menschen zusammengefasst, und erscheinen damit sogleich als irrational und nahezu pathologisch (https://twitter.com/LizStokoe/status/1299122381345169409). Aber ängstlich zu sein, muss nicht nur eine Fremdzuschreibung sein. Man kann sich sogar damit, zu den »Ängstlichen« zu gehören, für seine störende Insistenz auf Regeln ›entschuldigen‹. Für seine Ängste kann man ja nichts! Gerade diese Verwendung verweist darauf, dass es hier nicht bloß um individuelle Zuschreibungen handelt, sondern in gewisser Weise um einen objektivierten Typen, mit dem wir durch bloße Erwähnung bestimmte Deutungen unserer Motive und unseres Handelns aufrufen und Erwartungen aushandeln aushandeln können.

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Wer sich von der Falschheit eines Liberalismus ohne Solidarität überzeugen will, schaue nur mal in ein Buch de Sades.

Das Genre der Indentitätspolitikkritik ist ein Ritus der Vereinigung von linker Melancholie und konservativer Kulturkritik: in der fortwährenden Widerholung des immergleichen Lamentos versichert sich dieser fragile Zusammenschluss seiner selbst.

Architektur als Exzess

Unternehmensarchitektur wird heute wie selbstverständlich vor allem unter einem Paradigma der Rationalität und Effizienz betrachtet. Alles wird hier zweckrational ausgerichtet, vom Standort zur Innenausstattung. Gerade im »Dispositiv der Kreativität« (Reckwitz) werden dabei auch den ästhetischen Qualitäten der Arbeitsräume produktive Effekte zugeschrieben. So scheint es klar, dass die grellen Farben bei Google ein subtiler Mechanismus der Steigerung von Produktivität der Mitarbeiter sein müssen. Dazu passend konstatiert die »Farbergonomie« auf Grundlage der »Farb-Erregungs-Hypthese«, dass grelle Farben stimulierend wirken – und so etwa Innovation und Kreativität unterstützt. Dementsprechend ersetzen »opulent-prunkvolle Dessins« den ästhetischen Minimalismus der Moderne (Schlegl 2005: 225 ff.).

Erweiterung des Google Headquaters 2.0. Zürich, Architekt*innen: Züst Gübeli Gambetti, © google.
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Wer „wuppt“ hier eigentlich was? – Eine kleine Tweetanalyse

„Gewuppt“ wird in den letzten Wochen so einiges. Die Restriktionen und Veränderungen durch die „Coronakrise“ und die verdoppelte Belastung durch den Wegfall von Beschulung und Betreuung der Kinder stellen insbesondere Familien vor eine große Herausforderung. Dabei sind es häufig Frauen, an denen die Mehrbelastung hängen bleibt. Es wundert also nicht, dass man gerade in letzter Zeit davon hört und liest, was „Eltern“ oder „Mütter“ alles „wuppen“. Ist aber nicht nur der häufig mit diesem Wort beschriebene Sachverhalt ein Problem, sondern auch die Beschreibung durch das Wort selbst? Diesen Aspekt hat Christina Hölzel auf Twitter angesprochen. In einem Tweet von gestern fragt sie pointiert:

„Wuppen Männer eigentlich auch? Oder nennt man das da ‚Erfolg‘?

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Perlen vor die Säue – die „Überflüssigen“ und gesellschaftliches Potential

Der gegenwärtige Kapitalismus produziert – so eine gängige Einschätzung – „Überflüssige“. Menschen, die, wenn man so will, rechtlich inkludiert sind: „Vollbürger“, denen formal weitgehende Rechte zukommen, zugleich aber ökonomisch (in im Kapitalismus damit auch weitegehend gesellschaftlich) exkludiert (vgl. Lemke 2007: 80 f.). Im politischen Diskurs werden diese Menschen weitgehend als Kosten verhandelt. Um für Sozialleistungen zu senken, gelte es, sie zu „aktivieren“ (Bude 2008: 27 ff.). Dabei werden die Gründe für die Lage, in der sich diese Menschen befinden, weitgehend individualisiert – da wo die „Aktivierung“ und „Mobilisierung“ nicht von Erfolg gekrönt ist, ist es ihre eigene Schuld. Folgerichtig ist das naheliegende Mittel im behördlichen Umgang mit diese „Restkategorie“ (Bude 2008: 28) die Sanktion. Beispielhaft hierfür sind die Hartz IV-Gesetze.

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