Gegenrede sichtbar machen – Grenzen kennen

Aus Online-Diskussionen gehen wir regelmäßig frustriert heraus. Die Diskussion hat nirgendwohin geführt, der „Gegner“ hatte zwar keine Argumente, hat aber gefühlt gewonnen, wir konnten unser Gegenüber nicht überzeugen …

Auch wenn dieser Frust häufig durchaus berechtigt ist, hat er auch etwas mit falschen Erwartungen zu tun, mit denen wir in eine Diskussion hinein gehen. Das kann nicht nur im Rückblick demotivierend sein, weil wir angesichts zu hoher Erwartungen das Gefühl haben, gescheitert zu sein. Es erschwert auch ein souveränes und höfliches Auftreten in der Situation. Eine Entwicklung realistischer Vorstellungen, was wir in einer Diskussion leisten können und was nicht, ist vor diesem Hintergrund wichtig für eine nachhaltige Strategie der Zivilcourage.

Im virtuellen Raum gilt dabei in gesteigerter Form, was auch für direkte Gespräche in der Kneipe oder in der Familie gilt. Zugespitzt kann man sagen: Niemand hat sich je im Internet vom Gegenteil überzeugen lassen. Die Erwartung, dass jemand, der mit rassistischen Kommentaren in ein Gespräch einsteigt, geläutert aus ihm herausgehen wird, ist jedenfalls eine Vorlage für das eigene Scheitern. Warum also trotzdem argumentieren?

Zum einen, können höflich aber bestimmt vorgetragene Argumente, kleine Irritationen in Bezug auf die eigenen Überzeugungen erzeugen und bestehende Zweifel unterstützen. Dies wird nicht zu einer Veränderung in der Situation führen, kann aber einen bereits angestoßenen Änderungsprozess unterstützen, der dann für einen Selbst so gar nicht sichtbar wird.

Zum anderen, und vermutlich wichtiger, sind gerade in sozialen Medien immer auch andere an der Interaktion beteiligt, selbst wenn diese sich gar nicht ihrerseits äußern. Mit der Gesprächssoziologie kann man von einem „mithörenden Publikum“ sprechen, das in sozialen Medien nicht nur zufällig da ist, sondern immer auch mitadressiert wird (Heritage 1985). Unter diesen Mithörer*innen werden in der Regel auch Unentschiedene sein, die Argumente abwägen, auch wenn sie ggf. Sympathien für stereotype Schuldzuweisungen haben, die in Internetparolen vorgebracht werden.

Letztlich ist es vor diesem Hintergrund bereits bedeutsam, dass Gegenrede überhaupt sichtbar wird, selbst wenn niemand von einer Meinung überzeugt wird, die er oder sie vorher nicht hatte. Denn es kann dem Eindruck begegnet werden, dass Stimmen, die sich für Toleranz, soziale Gerechtigkeit, Pluralismus und Demokratie einsetzen, in der Minderheit sind – ein Eindruck, der insbesondere durch die Algorithmen in kommerziellen Sozialen Medien bestärkt wird, die provokative und extreme Positionierungen bevorzugen, die ein starkes „Engagement“ in die Diskussion erzeugen.

Gerade dieser letzte Aspekt verweist aber auch auf die Notwendigkeit sich eigene Grenzen zu setzen. Nicht nur ist das notwendig, um sich selbst nicht in Diskussionen aufzureiben, die ab einem gewissen Punkt nur noch Energie rauben, ohne etwas erreichen zu können (weil sie erst mit einer gegenseitigen Überzeugung, die nicht eintreten wird, zu Ende kämen). Auch steht man mit immer weiter geführten Diskussionen in der Gefahr, genau den Mechanismus der Provokation zu unterstützen, der rechtsextreme und menschenfeindliche Positionierungen in sozialen Medien so effektiv macht. Neben der Strategie, hier den Spieß umzudrehen, indem man den Internetparolen zuvorkommt und eigene Themen setzt, ist es hier sinnvoll, kurz, pointiert und höflich Gegenposition zu beziehen, ohne sich in frustrierende Diskussionen zu begeben, für die das Internet mit den „Trolls“ eigene Expert*innen hervorgebracht hat.

Probiert es aus:

Praxis:

Das nächste Mal, wenn euch eine Parole im Internet begegnet, gebt ein kurzes Statement zu ihr ab, in dem eure Position sichtbar wird. Legt anschließend bewusst das Handy beiseite und lasst euch nicht weiter auf eine Diskussion ein.

Wie fühlt sich das an? Seid ihr unzufrieden, weil ihr nicht wisst, wie die Diskussion weitergeht? Oder ist es eher befriedigend, dass ihr selbst in der Hand habt, wann ihr euch wie stark auf eine Diskussion einlasst? Gebt gerne ein Feedback in den Kommentaren.

Dieser Post ist Teil der Beitrags „Strategien gegen Internetparolen“.

Literatur:

Heritage, John 1985: Analyzing news interviews: aspects of the production of talk for an overhearing audience, in: Dijk, Teun A. van (Hrsg.), Handbook of Discourse Analysis. London: Academic Press, 95–117.

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