Permanente Öffentlichkeit und das Ende der Intellektuellen

Dass wirkliche öffentliche Intellektuelle heute so rar sind, liegt weniger an der Öffentlichkeit als an der Privatheit. Wir sind alle mit Formen der Öffentlichkeit so kurzgeschlossen, dass Thesen nicht mit Schlagkraft in die Öffentlichkeit treten, sondern vorher schon in tausendfachen Bruchstücken und mannigfaltigen Versionierungen vorformuliert und angetestet sind. Unser Debattenraum ist dementsprechend selbst ein anderer. Er ist viel stärker durch vorläufige und experimentelle Positionierungen gekennzeichnet. Man kann das bedauern, sich versuchen dem partiell zu entziehen, muss dem aber doch als diskursive Realität erst mal Rechnung tragen.

Eine Ausnahme bietet vielleicht noch Jürgen Habermas. Wie Felix Heidenreich konstatiert, spricht dieser nach seinem Selbstverständnis nicht in der Öffentlichkeit, sondern mit ihr. Seine Äußerungen haben den „Status von Verlautbarungen; sie dokumentieren das Ergebnis eines Denkprozesses, nicht den Prozess selbst.“ (Heidenreich 2022: 81) – Nun ist eine gewisse partielle Distanzierung aus dem öffentlichen Diskurs keine hinreichende, vermutlich aber doch notwendige Bedingungen dafür, Positionen zu entwickeln, die eine hinreichende Reibung zur Diskursnorm entwickeln, dass hier auch die Autorfigur eines über den Dingen stehenden Intellektuellen entsteht. Die von Heidenreich für den Journalismus konstatierte „Originalitätssucht“ (Heidenreich 2022: 80) kann in gewisser Weise als Schwundform dessen gelten. Die ist Differenz zur Diskursnorm nicht durch partielle Entkopplung von dieser, sondern als kalkulierter und kalkulierbarer Gestus. In ihrer automatisierten Abweichung von dem Erwarteten ist sie gerade nicht von diesem gelöst, sondern untrennbar an dieses gekoppelt. Sie muss sich an die Diskursnorm schmiegen, um stets aktuelle Differenz zu dieser zu markieren, dabei entsteht aber gerade keine starke eigene Position, wie sie mit der Intellektuellenfigur verbunden ist. Der Differenz fehlt Substanz.

Auf der anderen Seite ist es verfehlt, den heroisch überhöhten Intellektuellenfiguren vergangener Tage nachzutrauern. Deren diskursive Macht bestand nicht unerheblich darin, autoritativ aufzutreten. Ihre Thesen waren gesetzt, nicht gemacht. Und so war ein Blick auf Denkprozesse allenfalls ausgehend von der Darstellung des Denkergebnisses aus möglich. Der Werkzeugraum musste im Verborgenen bleiben, um dem genialen Denken den Glanz nicht zu rauben. Auf dieser Ebene ist die Selbstentzauberung der Intellektuellen in ihrem Denken nicht zu bedauern.

Uns so stehen wir wohl heute vor einer dreifachen unmöglichen Position: weder die Nicht-Differenz des Konformismus können wir wollen, noch die automatisierte Differenz der Originalitätslieferanten, noch die selbstsetzende Differenz der öffentlichen Intellektuellen vergangener Tage.

Literatur

Heidenreich, F. (2022): Der Philosoph in der twitterisierten Öffentlichkeit. Merkur, 76(883), 77–81.

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