Festhalten am Unglück – über Fakir Baykurts „Hochöfen“

20 Jahre nach ihrem ursprünglichen Erscheinen sind endlich auch die ersten beiden Bände von Fakir Baykurts Duisburg-Triologie in deutscher Übersetzung erschienen. Dies ist insbesondere auch dem Engagement des Verlags Dialog-Edition und Tayfun Demirs zu verdanken. Während Baykurts Bücher sich bei türkischsprachigen Leser*innen großer Bekanntheit erfreuen, sind sie den deutschsprachigen Leser*innen weitgehend unbekannt. Obwohl Duisburg seit einigen Jahren einen Fakir Baykurt Kulturpreis vergibt, war aus der nach der Stadt benannten Triologie bis im letzten Jahr nur der dritte Band „Halbes Brot“ auf deutsch erschienen.

Fakir Baykurt führt die Leser*in in die Alltagswelt türkischer Arbeitsmigrant*innen. Dabei legt er nicht nur deren alltägliche Überlebenskampf offen, sondern die ganze Heterogenität widersprüchlicher Positionierungen und Anforderungen: zwischen kommunistischen Gewerkschafter*innen, selbstproklamierten Religionshütern, zwischen dem Wunsch nach einem glücklichen Leben und der Verhaftung in patriachalischen Traditionen.

Im Zentrum des Buches stehen steht die Beziehung zwischen dem Stahlarbeiter Ibrahim und seiner Frau Elif. Elif ist schwanger, und Ibrahim, der bereits seine zweite Frau verstoßen hat, weil diese vermeintlich fremdgegangen ist, sieht seine Ehre in Gefahr, weil er (auf Grundlage eines Sprichworts über die Länge der Schwangerschaft) befürchtet, nicht der Vater des Kindes zu sein. In seiner Annäherung an den, zum Teil ans Paranoide grenzenden, inneren Kampf Ibrahims fordert der Roman die Leser*in heraus. Der Wunsch nach Identifikation mit dem Protagonisten lässt immer wieder auf dessen „Läuterung“ hoffen. Baykurt lässt immer wieder die Möglichkeit einer grundsätzlichen Änderung aufscheinen, verweigert sich aber einer allzu klischeehaften Katharsis mit happy end, das Gewalt und Unterdrückung letztlich als bloßen Irrtum verharmlost. Auf dieser Ebene erinnert der Roman zum Teil an die existentialistische Antipsychologie Sartres, der immer wieder das Verharren der Figuren in ihren Handlungsweisen aufzeigt, ohne diese dadurch aus der Verantwortung für dieses Handeln zu entlassen.

So schafft es Baykurt gerade darüber, dass er die Möglichkeit der Änderung wiederholt sichtbar macht, die Darstellung Ibrahims nicht in eine legitimierenden ‚Erklärung‘ von dessen Verdächtigungen, seiner Verachtung und Aggression aus seinen Erfahrungen, seiner Unsicherheit, Selbstverachtung und seinem Selbstmittleid abrutschen zu lassen. Obwohl über weite Teile des Romans Ibrahims Gedankengänge im Vordergrund stehen, entwindet sich der Roman so einem Abgleiten in eine ungebrochene psychologische Einfühlung.

Dafür ist auch eine zweite erzählerische Strategie entscheidend: Im Verlauf des Romans wird zunehmend auch die eigenständige Perspektive und Handlungsmacht Elifs deutlich – ihre Hoffnungen aber auch Aspirationen, die sich nicht allein in der Überwindung von Konflikt und Gewalt erschöpfen. Aber auch hier verweigert sich Baykurt einer heroischen Erzählung des eindeutigen Ausbruchs aus den bestehenden Verhältnissen, sondern legt die innere Ambivalenz zwischen einer Apologie der gewalttätigen Beziehung und der eigenständigen Gestaltung des eigenen Lebens jenseits dieser Beziehung offen.

Die Stärke des Buches, ist es mit diesen Widersprüchen und der verschlungen Vielfalt von Positionen und Haltungen zu konfrontieren, ohne eine beruhigende Lösung anzubieten. Nichts wird aufgelöst. Und gerade diese Unabgeschlossenheit verleiht dem Buch auch nach zwanzig Jahren noch eine Aktualität, die über die Dokumentation deutsch-türkischer Lebensrealitäten des Ruhrgebiets der 1980er Jahre hinausgeht.

Fakir Baykurt (2022): Hochöfen, übersetzt von Hartwig Mau, Duisburg/Istanbul: Dialog-Edition. ISBN: 978-3-945634-67-7

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