Zwischen An- und Enteignung. Anmerkungen zum Plagiat im Expropriationsverhältnis der Wissenschaft

Wenn in der Wissenschaft von Plagiaten die Rede ist, dann wird dies meist als ein Verstoß gegen „geistiges Eigentum“ verstanden. Damit übernimmt man aber eine Rahmung einer neoliberalen Eigentumsordnung (kritisch hierzu etwa Hardt 2005). Ich meine, dass ein Plagiat so weder epistemisch noch normativ angemessen gefasst wird. Und diese beiden Dimensionen hängen eng zusammen. Als Verstoß gegen geistiges Eigentum wären Plagiate doppelt zu fassen: einerseits verletzen sie die Rechte des Verlages, der sich ja oft die Rechte an entsprechenden Texten sichert. Erst sekundär werden hier die Rechte der Autor*in verletzt, und dies vor allem, sofern das Urheberrecht diesen ein unveräußerliches Recht an ihrem Produkt zugesteht.

Ich meine, dass sich Plagiate besser im Kontext von Expropriationsverhältnissen verstehen lassen. Mit dem Begriff der Expropriation greife ich den Marx’schen Begriff für die Aneignung des Arbeitsprodukts durch das Kapital auf. Es geht bei Plagiaten so verstanden um eine Aneignung fremder Arbeit, eher als um die Aneignung fremden Eigentums. Wichtig ist dabei, dass der Begriff der Expropriation bei Marx nicht einfach mit einem moralisierenden Begriff von Ausbeutung in eins zu setzen ist. Wenn Marx von Ausbeutung spricht, dann nicht im Sinne einer ungerechten Übervorteilung. Vielmehr vollzieht sich die „Ausbeutung der Arbeitskraft“ (Marx 1957: 170 ff.) innerhalb des gesellschaftlich anerkannten Prinzip des Äquivalenztauschs – ist also an den gegebenen Maßstäben gemessen „gerecht“. Zwar wird sich auch Ausbeutung im – heute wohl schnell mitgehörten – moralisierenden Sinne immer im Verhältnis zur Expropriation darstellen, aber es gibt (zumindest in den Maßstäben des von Marx analysierten sozio-ökonomischen Systems) immer auch eine legitime Form der Enteignung der Arbeiter*innen. Und diese macht für Marx den zu untersuchenden Kern aus (vgl. hierzu auch Heinrich 1997).

Versteht man Plagiate in diesem Sinne, dann muss der Blick darauf gerichtet werden, wie sie in An- und Enteignungsverhältnisse in der Wissenschaft eingebettet ist. Dann kommen verstärkt aber auch Machtverhältnisse in den Blick – und zwar auch dort, wo Ent- und Aneigungsbeziehungen zur Arbeit anderer als legitim angesehen werden.

Im letzten Heft der Soziologie gibt es den Versuch, der aufs „geistige Eigentum“ fixierten Perspektive eine genuin soziologische entgegen- oder zumindest beizustellen (etwa Nassehi 2022: 403 f.). Trotz dieser Bemühungen bleiben die Beiträge aber m. E. genau eine solche kritische Einbettung schuldig. Am weitesten geht hier vielleicht der Text von Björn Hirschauer und Stefan Krey (2022).

In ihren weniger an einem Ideal der Wissenschaft denn an ihren profanen (Text-)Praktiken orientierten Anmerkung verweisen sie darauf, dass in der Plagiatsdebatte oft eine aneignungsfreihe Wissenschaft imaginiert wird. Dagegen wenden sie das Bekenntnis „Wir haben abgeschrieben!“ – nicht aber als Bekenntnis zu eigenem Fehlverhalten, sondern gerade als Verweis darauf, dass sich jenseits einer hundertprozentigen Zurechnung von Autorenschaft in der Wirklichkeit der Wissenschaft ein komplexes Netz an impliziten Regeln des legitimen Kopierens etabliert hat. Dieses legitime Kopieren (von Begriffen oder Formulierungen) muss, nimmt man die Implikationen des Plagiatsdiskurses in seiner aktuellen Form ernst, nun entweder auch bekämpft oder einfach zugunsten eines idealistischen Bildes wissenschaftlicher Textarbeit verleugnet werden. Genau gegen diese implizite Idealisierung schreiben Hirschauer und Krey letztlich an.

Aber so sehr sie eine soziologische statt einer juristischen, am Eigentumstitel orientierte, Perspektive einnehmen wollen, so sehr bleibt ihr Plagiatsbegriff, gegen den sie die lebendige wissenschaftliche Praxis positionieren, doch immer noch auf mehr oder weniger formale Zurechnungen verengt. Und so sind Macht- und Enteignungsverhältnisse, die Wissenschaft eben auch in ihrem „normalen“ Funktionieren durchziehen, auch bei Hirschauer und Krey auffällig abwesend. Auffällig, weil sie sich mir bei der Lektüre an manchen Stellen fast aufdrängen.

So z. B., wenn Hirschauer und Krey vom „Kollateralnutzen“ des Plagiats sprechen, in dem der Gedanke ja quasi dank des „Diebstahls“, der eher „Aneignung vor Dritten“ sei, noch an Aufmerksamkeit gewinne. Arg harmonistisch wird es in diesem Zusammenhang, wenn die „Beziehung zum Plagiierten“ als „ähnlich symbiotisch wie die der bestäubenden Biene zur Pflanze, die mit klarem Eigeninteresse an deren Blüten nascht, so aber auch zu ihrer Fortpflanzung beiträgt“ (Hirschauer/Krey 2022: 424). Entgegen der konfliktuellen Frage der Expropriation, die den Blick auf strukturelle Ungleichheiten dieser Aneignung und das Zusammenspiel von An- und Enteignung wirft, wird hier ein Modell der Aneignung entworfen, im dem diese letztlich allen zugutekommt.

Ich will nun gar nicht behaupten, dass so etwas nie vorkommt. Es scheint mir aber zumindest ein Sonderfall – und zudem einer, durch die gegebenen Ungleichheitsverhältnisse in der Wissenschaft unwahrscheinlich wird. Vielleicht könnte man hier etwas polemisch von der trickle down Theorie wissenschaftlichen Zitierens sprechen – in Anlehnung an die (eher auf Optimismus als auf Empirie gegründete) ökonomische Theorie, der zufolge Einkommenszuwächse von Reichen letztlich quasi-automatisch auch eine Verbesserung der finanziellen Lage der Armen mit sich brächten. Dabei wäre hier naheliegend an Fragen der kulturellen Aneignung zu denken, wie sie im Kontext der Popkultur diskutiert wurden. Auch hier gibt es das Argument, dass es doch toll sei, wenn der eigne Stil einem Massenpublikum zugängig gemacht wird. Und sicher ist auch hier nicht jede Aneignung negativ zu bewerten. Entscheidend ist aber, dass Aneignung eben auch Enteignung sein kann – und das obwohl kulturell selten ein materieller Diebstahl, sondern „bloß“ ein Kopieren stattfindet. Dieses Kopieren lässt aber in seinem spezifischen Kontext nicht einfach das Original unberührt. Gefragt werden kann nach destruktiven Rückkopplungseffekten, in denen Begriffe z.B. ihrer Fähigkeit kritisch in einen Diskurs zu intervenieren beraubt werden, weil sie aus einem Kontext herausgebrochen werden. Eine solche Enteignung lässt sich aber vermutlich eher mit pragmatischen Sprachkonzepten fassen als mit juristischen Konzepten.

Eine Enteignung kann aber auch ganz basal den Ideenproduzent*innen die ökonomischen Grundlagen ihrer Arbeit entziehen: Es wird eben die naschende Biene zu gut dotierten Vorträgen oder Vorstellungsgesprächen eingeladen, statt der inspirationsspendenden Pflanze, worauf hin letztere sich aus dem Wissenschaftsbetrieb verabschiedet.

Nun ist das Argument hier nicht, dass jede Übernahme von Konzepten a priori als Enteignungsverhältnis zu deute wäre. Tatsächlich teile ich die Einschätzung, dass Aneignungsverhältnisse konstitutiv auch zu guter Wissenschaft gehören. Und Ideen können vermutlich auch durch die Übernahme und Neujustierung ‚veredelt‘ werden, sei dies durch das Durcharbeiten von Widersprüchen oder aber auch das Anreichern durch besonders treffende und verbreitungsfähige Formulierungen. Aber unter gegeben Verhältnissen ist zu erwarten, dass diese Aneignungen immer wieder durch Enteignungsverhältnisse überformt werden – und Plagiate sind letztlich nur die skandalisierbare Anomalie dieser „normalen“ Expropriationsverhältnisse.

Ein weiterer Punkt, die für dieser Frage der Abblendung von Macht interessant ist, ist Hirschauer und Kreys Bemerkung, dass in Betreuungsverhältnissen Ideen und Begriffe geradezu „spendiert“ würden (Hirschauer/Krey 2022: 426). Hier steht vermutlich die Professor*in vor Augen, die durch Beratung und Anregungen eine Qualifikationsarbeit ‚befruchtet‘ (um im vorherigen insektenkundlichen Bild zu bleiben). Aber die Stelle lässt sich durchaus auch andersherum lesen: als die Aneignung von Ideen der Betreuten durch die Betreuenden. Auch davon hört man ja immer mal wieder.

Nun könnte man dies angesichts der ‚top-down‘ Spende als „kleinliche“ Aufrechnung abtun. Aber wäre es wirklich angemessen beide ‚Aneignungen‘ auf eine Ebene zu stellen? Die Unterschiede, so meine ich, kommen hier eben erst in den Blick, wenn man Machtverhältnisse in der Wissenschaft ernst nimmt, die auch implizite Zurechnungen umfassen. So wird die „Spende“ an die Promovent*in vermutlich auch wieder der eignen Sichtbarkeit zugutekommen, sofern Promovierende häufig als „Promovierende von“ vorgestellt werden. Andersherum ist fraglich, wie freiwillig die Ideen-„Spende“ ist, wenn die „Biene“ zugleich der eigene Chef als auch die Person ist, die über die eigene wissenschaftliche Qualifizierung entscheidet. Wann wird aus einer Spende Schutzgelderpressung?

Es gelingt Krey und Hirschauer dem idealisierenden Formalismus des juristischen Plagiatsbegriffs eine Beschreibung wissenschaftlicher Praxis mit ihren Unreinheiten und Graubereichen entgegenzustellen. Allerdings verharmlosen sie damit in gewisser Weise auch das Problem, dessen illegitimer und skandalisierter Auswuchs das Plagiat ist. Eine Konzeption der Expropriation würde dagegen ausarbeiten müssen, inwiefern das Plagiat an ‚normalen‘ und legitimen Formen der An- und Enteignung anknüpft und diese zuspitzt, die selbst wiederum problematisch sind. Nicht weil man der Wissenschaft die Aneignung von Wissen generell austreiben könnte oder sollte, sondern weil diese Aneignung unter gegebenen Verhältnissen immer auch von machtbasierten Enteignungspraktiken durchzogen sind.

Und ich meine, dass man letztlich auch das Problem des Plagiates nicht hinreichend zu fassen bekommt, wenn man einerseits idealisierend die vielfältigen, konstitutiven Aneignungsprozesse der Wissenschaft ausblendet (wie der juristische Diskurs es tut) oder aber andererseits diese Aneignungsprozesse mit „guten soziologischen Gründen für nachlässigen Zitierverhalten“ (Hirschauer/Krey 2022: 426) zu normalisieren versucht. Plagiate sind in der hier vorgeschlagenen Perspektive Ausbeutungsverhältnisse, die auf Expropriationsverhältnisse aufgepfropft sind – und in ihrer Wirkung auf das wissenschaftliche Feld kann letztlich erst in diesem Zusammenhang verstanden werden. Ausgangspunkt wäre dann nicht das normative Gegenbild einer absoluten Transparenz von Autor*innenschaft bis ins kleinste Detail – zumal einer individualistisch verkürzten Autor*innenschaft –, sondern die konkreten Praktiken des (Un-)Sichtbarmachens von Autor*innenschaft, die wissenschaftliche Textpraktiken durchziehen, und im Plagiat von impliziter Duldung zu expliziter Ächtung umschlagen.

Literatur

Hardt, M. (2005): Immaterial Labor and Artistic Production. Rethinking Marxism, 17(2), S. 175–177.

Heinrich, M. (1997): Kritik der politischen Ökonomie. In: U. Albrecht, H. Volger (Hg.): Lexikon der internationalen Politik, München: Oldenbourg Verlag.

Hirschauer, B., Krey, S. (2022): Wir haben abgeschrieben! Ein Spendenaufruf. Soziologie, 51(4), S. 419–429.

Marx, K. (1957): Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag.

Nasehi, A. (2022): Prekäre Nachahmung. Einige Anmerkungen zum geistigen Eigentum, Soziologie, 51(4), S. 402–408.

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