CfP: Kritische Theorie und multimethodische Forschung

Ad-hoc-Gruppe auf dem 41. DGS-Kongress in Bielefeld, 26.–30. Sept. 2022 (PDF-Version)

Der Kritischen Theorie wird heute kaum Potential für die empirische Sozialforschung zugeschrieben. Häufig gilt sie entweder als empirieferne Sozialphilosophie, oder sie wird als inzwischen überholte antipositivistische Stichwortgeberin qualitativer Forschungsmethoden gesehen. 

Beide Verortungen der Kritischen Theorie sind einseitig und verkennen den Beitrag, den sie noch heute zur Sozialforschung leisten kann. Die multimethodischen Forschungsansätze der frühen Kritischen Theorie (etwa die Studien zur Authoritarian Personality oder zum Betriebsklima) geben einen ersten Hinweis, dass beide Verortungen zu kurz greifen. Wenngleich das am „Institut für Sozialforschung“ ursprünglich angestrebte Forschungsprogramm eines „interdisziplinären Materialismus“ nicht vollständig realisiert wurde, setzten die multimethodisch angelegten empirischen Arbeiten im Umfeld des Instituts für ihre Zeit Maßstäbe – auch über die Grenzziehungen  zwischen quantitativen und qualitativen Ansätze hinaus.

Dabei strebte die Kritische Theorie an, die Kritik gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse und Ideologiephänomene mit einer Kritik innerwissenschaftlicher Fragmentierung zu verknüpfen. Die Überwindung des Theorie-Praxis-Problems der Arbeiterbewegung sollte zusammenfallen mit der Überwindung disziplinärer Spaltungen und „positivistischer“ Beschränkungen. Dafür spielte auch die multimethodische Forschung eine maßgebliche Rolle. 

Im „Positivismusstreit“ der 1960er Jahre rückte die Arbeit mit multiplen empirischen Materialien allerdings in den Hintergrund. An dessen Stelle trat eine polemisch überspitzte und in vielerlei Hinsicht ungenaue Gegenüberstellung von (kritischer) Theorie und (positivistischer) Empirie, die auch dafür mitverantwortlich ist, dass die Kritische Theorie heute kaum mit empirischer Sozialforschung assoziiert wird. 

Seitdem hat sich, neben der Arbeitsteilung von sozialwissenschaftlicher Theoriebildung hier und empirischer Forschung dort, auch die Trennung zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen vertieft. Diese Polarisierung schlägt sich auch in organisatorischen (Ab-)Spaltungen der Soziologie nieder, wie zuletzt mit der Ausgründung der Akademie für Soziologie deutlich wurde. 

Neuere Formen der methodenübergreifenden Forschung versuchen, solche Spaltungen zu überwinden. Als Mixed Methods Research international etabliert, aber auch mit Konzepten der Triangulation oder der methodenpluralen Forschung verbunden, beziehen sich diese Alternativmodelle allerdings kaum auf die Vorarbeiten der Kritischen Theorie – selbst da, wo sie in kritisch-emanzipatorischer Absicht betrieben werden.

Vor diesem Hintergrund lohnt es, das Verhältnis von Kritischer Theorie und multimethodischer Forschung neu zu denken und die Möglichkeiten und Probleme methodenpluraler Forschung in gesellschaftskritischer Perspektive auszuloten. Dies darf nicht bei theoretischen Erwägungen stehen bleiben, sondern muss Relevanz für die konkrete Forschungspraxis gewinnen.  

Wir laden dazu ein, folgende Fragen zu diskutieren – besonders erwünscht sind Beiträge mit einem konkreten Bezug zu empirischer Forschung. 

  • Was trägt eine methodenintegrativ-empirisch arbeitende Kritische Theorie zur Erforschung aktueller Krisenphänomene wie etwa Armut und Prekarität, Autoritarismus und Populismus, Klimawandel und ökologische Krise bei?
  • In welchem Verhältnis stehen im Rahmen von Mixed Methods und multimethodischer Forschung entwickelte Ansätze kritisch-emanzipativer Forschung zur Kritischen Theorie Frankfurter Prägung? 
  • Welchen Beitrag leistet eine durch die Kritische Theorie  informierte Methodologie und Wissenschaftssoziologie zum Verständnis aktueller empirisch-methodischer Herausforderungen sowie der methodologischen Polarisierung in den Sozialwissenschaften?
  • Wie kann das Verhältnis von empirischer Forschung und Gesellschaftstheorie mithilfe von Überlegungen aus der kritischen Theorie  besser gefasst werden? 
  • Wie lassen sich Theoriekonzepte wie Totalitätsempirie (Bonß) oder negative Dialektik (Adorno) forschungspraktisch umsetzen? Wie lässt sich die Dimension gesellschaftlicher Totalität mit der  empirischer Forschung an spezifischen Gegenständen zusammenbringen und welche Rolle spielt die Verbindung verschiedener Methoden für diese Herausforderung?

Bitte richten Sie Ihre Beitragsvorschläge (max. 2.400 Zeichen inkl. Leerzeichen) bis zum 29. April 2022 an david.adler@uni-oldenburg.de. Bei einer Zusage müssen die Abstracts bis zum 11. Mai eigenständig auf die Conftool-Website des Kongresses hochgeladen werden.

Organisation: David Adler (Oldenburg), Felix Knappertsbusch (Hamburg) und David Waldecker (Siegen)

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