Trump, Präsidentialismus und die Einheitsfiktion des Volkes – oder: Auf zu einer Repräsentation der Vielheit

In Der achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte verweist Karl Marx ausgehend von der Verfassung der zweiten französischen Republik vom 4. November 1848 auf die Widersprüche einer präsidialen Republik. Diese sieht er unter anderem darin, dass der Präsident zugleich eine Art Nachfolger des Königs ist, als auch institutionell in Schach gehalten werden soll – ein König auf Zeit, nicht von Gnaden Gottes, sondern des Volkes (qua Direktwahl), und neben ein wenigstens gleichgestelltes Parlament gestellt.

Interessant ist vor allem eine Bemerkung zur Repräsentation:

„Während die Stimmen Frankreichs sich auf die 750 Mitglieder der Nationalversammlung zersplittern, konzentriren sie sich dagegen hier auf das eine Individuum. Während jeder einzelne Volksrepräsentant nur diese oder jene Partei, diese oder jene Stadt, diesen oder jenen Brückenkopf oder auch nur die Nothwendigkeit vertritt, einen beliebigen Sieben huntert und fünfzigsten zu wählen, bei dem man sich weder die Sache noch den Mann so genau ansieht, ist Er der Erwählte der Nation und der Akt seiner Wahl ist der große Trumpf, den das souveräne Volk alle 4 Jahre einmal ausspielt.“ (Marx 2007: 26)

Letztlich ist es gerade die Einheit des Präsidenten, die ihn gegenüber der formal übergeordneten Nationalversammlung gewinnen lässt. Man kann hier zwei grundsätzliche Repräsentationsmodi des Volkes unterscheiden: In der Nationalversammlung repräsentiert sich das Volk als heterogenes, differenziertes, in sich zerstrittenes. Im Präsidenten repräsentiert sich das Volk als Einheit. Dies verweist auf die Aktualität dieser Frage: denn die Entwicklung einer wirksamen Repräsentation durch Heterogenität ist vielleicht – trotz der Festigung parlamentarischer Demokratie – als eine Aufgabe einer anti-nationalistischen Linken zu verstehen. Der Geist der Einheit des Volkes geistert nicht zuletzt durch zeitgenössische populistische Debatten. Vielleicht ist es das, was die Rechte an Angela Merkel am unverzeihlichsten findet, unverzeihlicher noch als deren politische Inhalte: dass sie so wenig die Emanation des Volkswillen gibt, dass sich „das Volk“ in ihr so wenig seiner selbst als „ein Volk“ vergewissern kann. Das ist institutionell keinesfalls zufällig, wurde in der deutschen Nachkriegsverfassung doch bewusst darauf verzichtet, dem Parlament eine direkt gewählte Person beizustellen, um eine Untergrabung der Legitimation des Parlamentes zu vermeiden. Das Bedürfnis nach dieser Repräsentation kann aber auch als ein Zeichen des Scheiterns, oder schwächer und weniger dramatisch: des noch nicht erfüllten Versprechens einer Repräsentation der/durch Vielheit verstanden werden.

Vielleicht kann heute insbesondere auch Donald Trump vor diesem Hintergrund verstanden werden – gerade in dem Moment, wo er bemüht ist den demokratischen Repräsentationsmechanismus zu unterminieren. Gegen die heterogene Repräsentation des Volkes in den zwei parlamentarischen Kammern reklamiert Trump die Repräsentation einer spontan auftretenden Einheit des Volkes, die die zerfaserte und ungleichzeitige Repräsentation von „House“ und „Senat“ übertrumpft. Der Anspruch, „ein“ Volk zu repräsentieren, kann dabei durchaus in Widerspruch zur realen zahlenmäßigen Majorität in einer Wahl geraten. Letztlich ist dieser Konflikt schon in Rousseaus Unterscheidung der volonté de tous und der volonté générale angelegt, die letztlich eine Art transzendentales Gespür für das nicht offen zutage liegende Allgemeininteresse jenseits der manifesten Interessensunterschiede und -summen bedarf. Dies markiert genau die Anfälligkeit der Reklamation des „Volkswillens“ für autoritäre Kaperungen. Letztlich ist es nur folgerichtig, dass die Republikaner bestrebt sind, sich „ihr“ Volk selbst auszusuchen. Wenn Trump Präsident „von Volksgnaden“ (Marx 2007: 27) ist, muss die repräsentierte Einheit des Volkes möglichst nicht nur symbolisch gestiftet, sondern elektoral simuliert werden. Der Ausschluss der störenden „Elemente“ aus der Wählerschaft ist nur die konsequente Fortsetzung davon, dass diese – als Abweichungen der suggerierten Einheit – für die präsidentielle Einheitsfiktion ohnehin nicht zählen.

Nimmt man all dies ernst, dann liegt nahe, dass Trumps Dekonstruktion der Demokratie darum so gut funktioniert, weil sie einen institutionellen Grund hat. Und über ein Sieg über einzelne Personen hinaus, müsste eine politische Transformation auch die Institutionalisierung und Symbolisierung einer heterogenen Repräsentation anstreben, die es mit der Suggestion der Volkseinheit aufnehmen kann.

Literaturangaben

Marx, K. (2007): Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Kommentar von Hauke Brunkhorst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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