Perlen vor die Säue – die „Überflüssigen“ und gesellschaftliches Potential

Der gegenwärtige Kapitalismus produziert – so eine gängige Einschätzung – „Überflüssige“. Menschen, die, wenn man so will, rechtlich inkludiert sind: „Vollbürger“, denen formal weitgehende Rechte zukommen, zugleich aber ökonomisch (in im Kapitalismus damit auch weitegehend gesellschaftlich) exkludiert (vgl. Lemke 2007: 80 f.). Im politischen Diskurs werden diese Menschen weitgehend als Kosten verhandelt. Um für Sozialleistungen zu senken, gelte es, sie zu „aktivieren“ (Bude 2008: 27 ff.). Dabei werden die Gründe für die Lage, in der sich diese Menschen befinden, weitgehend individualisiert – da wo die „Aktivierung“ und „Mobilisierung“ nicht von Erfolg gekrönt ist, ist es ihre eigene Schuld. Folgerichtig ist das naheliegende Mittel im behördlichen Umgang mit diese „Restkategorie“ (Bude 2008: 28) die Sanktion. Beispielhaft hierfür sind die Hartz IV-Gesetze.

Demgegenüber bedürfte es eines radikalen Perspektivwechsels. Auszugehen ist nicht von der individuell zugeschriebenen Unzulänglichkeit. Angesichts erfolgloser Dauersanktionierung ist vielmehr anzunehmen, dass es keinen genügenden Bedarf für die Arbeitskraft eines bedeutenden Teils der Bevölkerung gibt. Heinz Bude spitzt zu: „Was sie können, braucht keiner, was sie denken, schätzt keiner, was sie fühlen kümmert keinen“ (Bude 2008: 15). Nimmt man dies aber ernst, müsste es einen weitreichenden praktischen Legitimationsverlust für den gegenwärtigen „Workfare“-Kapitalismus mit sich bringen.

Wird dem klassischen Wohlfahrtskapitalismus vorgeworfen, verknöchert zu sein und durch eine hohe Regulierung von Arbeit (also letztlich durch den Schutz der ökonomisch inkludierten) Schuld an der Existenz ökonomisch Exkludierter zu sein – etwa à la: „Kündigungsschutz hemmt die Neuanstellung und führt so zu höherer Arbeitslosigkeit –, so müsste man andererseits gegenüber dem Workfare-Kapitalismus geltend machen, dass der größere Skandal als die Kosten für Sozialleistungen ist, wie sehr wir gesellschaftlich hinter unserem Potential zurück bleiben, wenn Menschen massenhaft zu einem unproduktiven „Rest“ deklariert werden. Dies anschaulich zu machen, wäre die Aufgabe einer lebendigen antikapitalistischen Politik, die nicht nur abstrakte Mechanismen kritisiert, sondern auch ein Gespür für das Mögliche erweckt. Erst vom in ihm vergeudeten Potential aus wird das Scheitern des Kapitalismus in seinem wahren Ausmaß überhaupt greifbar.

Literaturangaben

Bude, Heinz (2008): Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München: Hanser.

Lemke, Thomas (2007): Biopolitik, Hamburg: Junius.

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