Persistenz und Avantgarde

Der Architekturdiskurs kann gut mit juristischen Diskursen verglichen werden: Er ist um Fälle herum konstruiert – Präzedenzfälle, wenn man so will. Allerdings ist die temporale Ausrichtung der Architektur der des Rechts diametral gegenüber gestellt. Während das Recht nach hinten gerichtet ist (Opitz 2011) – es rekonstruiert, was der Fall ist, bringt es zu juristischem Dasein (Scheffer 2007) – ist die Architektur ihrer eigenen Zeitlichkeit nach prospektiv. Dies hängt mit der Zeitlichkeit ihrer Erzeugnisse zusammen.

Architekturobjekte begegnet uns als Persistenz. Und diese Persistenz überlebt nicht selten die Funktion, welche Architektur während ihrer Planung zugeschrieben wird. Architektinnen muss im Jetzt für mögliche Morgen planen. Daher ihre Notwendigkeit, Zukunften zu konstruieren, die ihre Pläne virtuell beleben. Die Fälle der Architektur sind darum konstitutiv avantgardistisch – sie müssen nicht nur ‚am Puls der Zeit‘ sein, nicht nur ‚auf der Höhe der Zeit‘, sondern letztlich schon über deren Gipfel in Richtung Zukunft.

Dies prägt aber auch die Rezeption von Sozialwissenschaften im Architekturdiskurs vor. Weniger interessiert hier die nüchterne Konstatierung des Soseins der Gegenwart, als vielmehr die Tendenzsoziologie der Gegenwartsdiagnose (die auf merkwürdige Weise ja nie das triviale Jetzt beschreibt). Die Beliebtheit von Konzepten wie dem der „Informationsgesellschaft“ und dem der „Wissensgesellschaft“ erklärt sich zumindest zum Teil hieraus.

|° Opitz, Sven 2011: Widerstreitende Temporalitäten: Recht in Zeiten des Risikos, Behemoth, 4, 2, S. 58–82.
|° Scheffer, Thomas 2007: On procedural discoursivation – or how local utterances are turned into bindung facts, Language & Communication, 27, S. 1–27.

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