„Das in der empirischen Technik allgemein gebräuchliche Verfahren der operationellen oder instrumentellen Definition, das etwa eine Kategorie wie „Konservatismus“ definiert durch bestimmte Zahlenwerte der Antworten auf Fragen innerhalb der Erhebung selbst, sanktioniert den Primat der Methode über die Sache, schließlich die Willkür der wissenschaftlichen Veranstaltung.“
Theodor W. Adorno
Soziologie und empirische Methode
Eine Wissenschaft, die Relevanz für das Leben haben will, einem anderen als sich selbst etwas sagen will, kann sich nicht ganz der alltäglichen Sprachen entwinden. Jeder Deut an ‚Klarheit‘ der durch die durchdefinierte Sprache gewonnen wird, geht ihr an Weltbezug verloren. Der Rückzug der Wissenschaft in die ‚reine‘ Geometrie ihrer durchdefinierten Begriffe kann sich den Schein der Weltlichkeit dann nur über verschleierte Homonymie geben, in der sich der idealisierte Begriff wieder heimlich mit dem alltäglichen kurzschließt. Je mehr jenem die Probleme von diesem ausgetrieben wurden, desto weniger Legitimität kann dieser Kurzschluss beanspruchen.
„Sobald dann, wie es fast unvermeidlich ist, von den instrumentell definierten Begriffen auch nur auf die konventionell üblichen extrapoliert wird, macht sich die Forschung eben der Unsauberkeit schuldig die sie mit ihren Definitionen ausrotten wollte.“
ebd.
Mag es für die Konstitution einer Wissenschaft wichtig sein, dass sie eigene Probleme – oder mit Bachelard: Problematiken –, eigene Relevanzen und eigene Fragen entwickelt, ist es für die Bedeutung einer Wissenschaft zugleich fatal, wenn sie nur noch auf diese reagieren kann und sich so in sich selbst einschließt.
Dein Posting wirft die Frage auf, wie mit der Spannung zwischen Verständlichkeit und kritischem Gehalt der Sprache umzugehen ist. Ich gebe dir recht, dass die operationalistische, empirizitische Sprache der „Wissenschaft“ an Weltbezug verliert. Es scheint mir aber so, als wäre dasselbe auf kritische Wissenschaft anwendbar.
Adorno aber auch viele post-strukturalisten (Lacan, Rancière) sprechen eine Sprache, die voller kritischem Gehalt ist, aber leider oft unzugänglich. In dem vorangegangenen Posting lenkst du unsere Aufmerksamkeit darauf, dass das Proletariat mangels Klassenbewusstsein an Bedeutung als politisches Subjekt verliert.
Robinson (2009, :www.anarchist-studies-network.org.uk/documents/Black%2520and%2520Red/Draft%2520Papers/Robinson%2520Politics%2520of%2520Excluded.doc) argumentiert, dass „the excluded“ an die Stelle des Proletariats treten. Wenn das zutrifft, hätte das Konsequenzen für die Sprache, die kritische Wissenschaft spricht, wenn sie ihren kritischen Impetus wegen mangelnder Zugänglichkeit nicht verlieren will.
Ich interessiere mich gerade für kritische Pädagogik und bin beeindruckt, wieviel möglich ist, wenn kritische Wissenschaftler_innen mit Ausgeschlossenen sprechen und zusammen Wissen produzieren. Die Unis kommen mir so entfernt vor von den Anliegen derjenigen, die unter dem Kapitalismus leiden.
James Scott hat in seinem Buch „The Weapons of the Weak“ gezeigt, wie Bäuerinnen und Bauern in Südasien Widerstand in ihrem Alltagsleben leisten, in Wort und Tat. Das legt nahe, dass Alltagssprache nicht so unkritisch ist, wie Adorno und andere es befürchten und dass wir von den Praktiken und der Sprache der Subalternen lernen können.
Siehst du auch Potenziale darin, mittels kritischer Pädagogik und in Zusammenarbeit mit den Subalternen neues Wissen zu erarbeiten oder zu übersetzen, um dem sich-selbst-einschließen der kritischen Wissenschaft entgegenzuwirken?
Danke für deine Anregungen.
Beste Grüße
Kalis Allan
Lieber Kalis,
erstmal vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich, wenn du manche meiner Gedanken anregend findest. Den Robinson Text werde ich mir die Tage mal gründlicher anschauen. Ich finde das sehr spannend. Vielleicht zwei kleine Reaktionen auf deinen Kommentar.
– Die Zitate von Adorno beziehen sich (nur) grundsätzlich auf das Verhältnis von Sprache und Erfahrung. Was du ansprichst, ist die wichtige Frage danach, von wessen Erfahrung hier die Rede ist. Ich glaube tatsächlich, dass das Problem, welches Adorno beschreibt, für seine Sprache weniger gilt. Dafür ergibt sich ein anderes, was vielleicht ähnliche Wirkungen hat. Adorno spricht – überspitzt gesprochen – mit dem Rücken zum Zuhörer. Der Versuch, sein Versuch, singuläre Erfahrungen zur Sprache zu bringen, läuft dann ins leere, wenn beim Zuhörer nur noch das undifferenzierte Rauschen einer Privatsprache ankommt. Adorno muss auf dem Drahtseil balancieren, zwischen einer selbstverständlichen Sprache, die die Besonderheit, die Qualität von Erfahrungen verschlucken muss und einer Sprache, die in die Besonderheit versinkt und ihre Mitteilbarkeit verliert. Manchmal – vorsichtig gesagt – mag er sich eher im Sicherheitsnetz unter diesem Drahtseil verheddern.
– Die Frage, inwiefern Adornos (und Lacans, und Rancières) Sprache sich selbst versperren, lässt sich nicht Standortunabhängig beantworten. Nicht nur, wessen Erfahrung zur Sprache gebracht werden soll, ist entscheidend, sondern auch wessen Sprache hier als Referenz dient. Dabei sind diese beiden Fragen wohl wesentlich verwoben. Deshalb ist eine – nicht nur theoretische – Annäherung an Erfahrungen und Sprache der Unterdrückten, der Ausgeschlossenen und der Widerständigen wichtig. Der Antagonismus des Gesellschaftlichen (ob als Klasse oder Inklusion/Exklusion) treibt hier einen Keil zwischen Adornos Gegenüberstellung von Allgemeinem und Besonderen (das scheinbar unwillentlich die Last des Allgemeinen nicht abschütteln kann und besondere Erfahrung gegen das Allgemeine allgemein als singulär setzt; die Inkommensurabilität des Nicht-Identischen scheint zu nivilieren).
– Die Ausgeschlossenen an Stelle des Proletariats zu setzen, macht nur Sinn, wenn man sagt, inwiefern sie dessen Stelle einzunehmen vermögen. Ich glaube es lassen sich theoretische Gründe, für diese Rolle der Ausgeschlossenen durchaus finden. Marx begründet die Rolle des Proletariats aber nicht nur geschichtsphilosophisch (idealistisch), sondern auch über dessen praktische Erfahrungen – in der Fabrik, in den gemeinsamen Unterkünften etc. (materialistisch). Sicherlich ist die Verachtung des Lumpenproletariats, wie sie bei Marx zu finden ist, heute nicht mehr akzeptabel. Und dessen Erbe treten die Ausgeschlossenen ja zum Teil an. Eine Konstruktion der Ausgeschlossenen als revolutionäres Subjekt, sei es auch als eines der Anti-Einheit, wie die Multitude es will, kann aber nicht überzeugen, wenn sie theoretisch erfolgt. Das bestätigt aber in gewisser Weise nur, wofür du dich aussprichst, „von den Praktiken und der Sprache […und den Erfahrungen…] der Subalternen“ zu lernen.
Liebe Grüße,
David
Hi Kalis,
leider finde ich meine ausgedruckte Kopie des Textes von Robinson nicht mehr und kann deshalb nur noch mal aus der Erinnerung ein zwei Dinge zu meinem vorherigen Post ergänzen. Auch wenn mir Robinsons Versuch, auf die Augeschlossenen zu schauen – und auch auf sie zu hören –, durchaus sympathisch ist, überzeugt er mich an vielen Stellen jedoch nicht. Ich habe das Gefühl, dass ähnlich wie bei Hardt/Negri es an vielen Stellen zu einem bloßen Aufzählung kommt, wo sich „etwas tut“. Das mag einen unmittelbar bevorstehenden Wandel vor Augen stellen. Die Einheit der Vielheit, die den Begriff der Multitude, der mir auch hier zugrunde zu liegen scheint, ja überhaupt erst zum Hoffnungsträger politischen Wandels werden lässt, wird dabei nicht gezeigt, sondern schlicht unterstellt. Und ich habe da so meine Zweifel, ob man hier wirklich über die Auflistung von Aufständen hinauskommt, deren Veränderungspotenzial sich leider vermutlich auf die Formen 1 + 1 + 1 + 1… = 1 bringen lässt. Die Proteste kommen aus ihrer Vereinzelung nicht hinaus und der durch die Auflistung erzeugte Eindruck, dass die Kraft der kleinen Proteste sich addieren ließe, zu einer großen Kraft, trügt.
Wenn ich dir zustimme, dass ein Austausch mit den vielen Aktivistinnen und auch den Ausgeschlossenen notwendig ist, so glaube ich, dass die Aufgabe weniger ist, zu konstatieren, dass es Widerstand gibt und darin einen Beleg für den anstehenden Wandel zum Guten zu sehen. Ich denke vielmehr, dass es einer kritischen Analyse der Proteste, Aufstände, Widerstände etc. bedarf. Es kann nicht mehr einfach unterstellt werden, dass Aufstände emanzipatorisch sind. Die euphemistische Begrüßung jeglichen Widerstandes und jeglicher Unruhen scheint die traurige Lehre des 20 Jh. nicht bedenken zu wollen: dass Widerstand und Protest auch reaktionär sein kann. Heute wird dies wohl in aller Deutlichkeit durch die Proteste in Frankreich gegen die sog. Homo-Ehe in Erinnerung gerufen. Was hier an Reaktion den Protesten auf die Stirn geschrieben steht, bedarf bei anderen Protesten (auch etwa Blockupy) eine subtileren Analyse. Eine theoretische und intellektuelle Begleitung von Protesten muss also tatsächlich mit den Akteurinnen sprechen und muss von diesen lernen. Aber zugleich muss auch eine Distanz gewahrt werden. Nur in dieser kann die gemeinsame Praxis reflektiert – und wenn nötig auch kritisch hinterfragt – werden.