Die Verzweiflung des kybernetischen Kapitalismus

Wenn die Arbeits- und Sozialministerin Deutschlands, Ursula von der Leyen, sich öffentlichkeitswirksam für Lohnsteigerungen ausspricht, so scheint das ein Beleg für die These vom kybernetischen Kapitalismus zu sein. Aber dieser kybernetische Kapitalismus ist höchstens noch ein verzweifelter. Der Appell, so voraussehbar auch die habitualisierte Aufregung der Arbeitgeberverbände und die apathische Freude der Gewerkschafter, wird kaum ernsthaft mit einem Effekt auf die Lohnentwicklung rechnen dürfen. Tatsächlich sind globale Steuerungsversuche entwertet durch eine Repropriierung der Ökonomie, deren Symbol der Finanzmarkt ist, deren Wirklichkeit aber nicht allein vom Ort des Finanzhandels aus verstanden werden kann. Der kybernetische Kapitalismus hatte die Stellung des Betriebs- und Politmanagements aufgewertet. An seiner Wiege wurde die These von der verwalteten Welt hellsichtig erarbeitet. Verständlich vor diesem Hintergrund die Anziehungskraft der Systemtheorie für Managementforschung und Politiktheorie – so paradox sie angesichts des Planungspessimismus Luhmanns doch scheinen mag. Gleichzeitig mit der Gewährung von „Freizeit“, wurde diese, darauf weist die Kritische Theorie hin, utilisiert und so auch noch den Arbeitenden enteignet.

Doch die Verselbstständigung der Verwaltung gegenüber dem Eigentum musste unter den Verhältnissen des Kapitalismus als Unrecht erscheinen und musste nicht lange nach seiner wissenschaftlichen und praktischen Problematisierung suchen. Die Principal-Agent-Theorie ist eine unter vielen, die die Kontrolle des Managements nahelegt und dem Eigentum so wieder zu seinem ‚Recht‘ verhilft. Vor diesem Hintergrund ist der Aufstieg der Finanzmärkte zu verstehen als die Entwicklung einer Apparatur, die das Betriebs- und Politmanagement disziplinieren soll. Ihm entspricht, mit der Abwertung der Autonomie des Managements auf Betriebsebene die zunehmende Delegation von managerialen Aufgaben an die Arbeitnehmer und die Entstrukturierung der Betriebsorganisation, die in der Entgrenzung von Arbeit mündet. Auf politischer Ebene entspricht ihr eine Depolitisierung angesichts des (vermeintlichen) Sachzwangs. Nirgends kommt sie deutlicher zum Vorschein als in der Besetzung des italienischen Kabinetts Mario Montis mit „Expertinnen“ statt Politikerinnen, unter Ausrufung des offiziellen Zieles „das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen“.

Die einseitige Kritik des „Finanzmarktes“, wie sie inzwischen übergreifend bis hin zur CDU gängig ist, greift zu kurz, weil seine Verwobenheit mit unserer Weise des Produzierens und Lebens ausblendet. Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Finanzmarkt schweigen. Sonst steigt die Gefahr, sich in die alte verwaltete Welt zurückzusehen. Die Schattenseiten dieser Welt lassen sich aber nicht durch die Schattenseiten des aktuellen Kapitalismus schönreden. Statt dessen müsste eine Kritik des postkybernetischen Kapitalismus die Frage nach den Eigentumsverhältnissen wieder ins Gedächtnis rufen.

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