Ironische Existenz

„Es darf zwar befremdend, aber nicht widerspruchsvoll erscheinen, wenn ich dem Zeitalter, das so hörbar und aufdringlich in das unbekümmertste Frohlocken über seine historische Bildung aufzubrechen pflegt, trotzdem eine Art von ironischem Selbstbewußtsein zuschreibe, eine darüberschwebendes Ahnen, daß hier nicht zu frohlocken sei, eine Furcht, daß es vielleicht bald mit aller Lustbarkeit der historischen Erkenntnis vorüber sein werde.“

So schreibt Nietzsche in seiner zweiten unzeitgemäßen Betrachtung (§ 8) und macht so die tiefe Modernität der ach so postmodernen Ironie sichtbar. Postmoderne Ironie braucht die moderne Verwechslung von kumulativem Wissen mit Bildung. Und wenn Nietzsche beklagt, dass die ‚historische Bildung‘, das Wissen darum, dass es einmal auf unendliche Weisen anders war, nicht in ein produktives Bewusstsein von Kontingenz – Machbarkeit – mündet, sondern in eine Gleichgültigkeit, so scheint damit das postmoderne Bewusstsein vorgreifend zielsicher getroffen:

„die Masse des Einströmenden ist so groß, das Befremdende, Barbarische und Gewaltsame dringt so übermächtig, ‚zu scheußlichen Klumpen geballt‘, auf die jugendliche Seele ein, daß sie sich nur mit einem vorsätzlichen Stumpfsinn zu retten weiß“ (§ 7).

Ironischerweise zeigt sich hier die Postmoderne als immer schon gewesenes Element des Historizismus, gegen den sie doch so heroisch-gleichgültig ankämpft. Sie ist Defätismus vorm Mannigfaltigen.

3 Antworten auf „Ironische Existenz“

  1. Sehr interessante Überlegungen, zumal sie eine kritische Distanz zur Postmoderne erkennen lassen, die mir so eher neu bei dir ist. Ob das wohl der Žižek-Lektüre in unserem Montréaler Lesekreis geschuldet ist? Ich weiß nicht, ob du es schon kennst, aber ich empfehle dir J. Rebentischs neues Buch, in dem sie sich eben jener ironischen Existenz widmet – ihrem Scheitern, ihrem Gelingen, ihren Kritikern. Das von dir angeführte „produktive Bewusstsein von Kontingenz – Machbarkeit“ sieht sie als reale Möglichkeit demokratischer und pluralistischer Kulturen an – wenn sie sich denn auf einen produktiven Streit (im Sinne J. Rancières oder Ch. Mouffes), eine in der Öffentlichkeit ausgetragene Pluralität einlassen. Die Frage ist nun: ist dein Begriff von Postmoderne mit dem identisch, was gegenwärtig als „Postdemokratie“ beschimpft wird? Wo machst du das Moment eines Umschlagens von Pluralität in Beliebigkeit/Gleichgültigkeit aus?

    1. Danke für den interessanten Tipp! Kannte ich noch gar nicht. Werde es mir die Tage mal anschauen. Leider kommt man wohl an das Buch, was sie mit Menke zusammen herausgegeben hat, nicht mehr ohne weiteres ran. Das hätte mich auch sehr interessiert.

      Zur Frage Postdemokratie/Postmoderne kann ich nur eine intuitive Antwort geben. Ich würde beide Begriffe nicht als identisch ansehen. Postmoderne scheint mit zunächst Postmodernismus zu sein, also eine bestimmte theoretisch-reflexive Position, die sich selbst dann aber auf einen Zustand der Welt zurechnet, „die“ Postmoderne nach der Moderne. Ich denke Nietzsche lässt sehen, dass die Grundzüge des Postmodernismus jedoch eher durch eine moderne Situation bedingt sind, als durch eine postmoderne. Postdemokratie würde ich dabei enger fassen. Dabei schwingt für mich da eine ähnliche Doppelbedeutung wie beider Postmoderne mit. Also würde ich sie einmal als einen tatsächlichen Zustand unseres politischen Systems verstehen, in dem zentrale demokratische Institutionen „aufgehoben“ – im schlechten Sinne – sind. Zum andren aber als „Postdemokratismus“, als eine Ideologie, die im Namen der Machbarkeit von Demokratie deren Kern suspendiert.

      Mein Verhältnis zum Postmodernismus ist wohl gespalten. Vermutlich, weil ich gar keinen umfassenden Begriff von ihm hab. Es gibt Aspekte, die unter diesem Label abgehandelt werden, die ich schlecht finde. Andere wiederum kann ich nicht einordnen, oder finde sie sogar gut. Als geeigneten Begriff um das gegenwärtige Denken allgemein, den Mainstream, zu bezeichnen, sehe ich ihn nicht.

      Vielleicht ist das problematischste, dass unter diesem Label einige theoretische Gesten normalisiert wurden und nun sozusagen als diskursive Selbstverständlichkeiten immer wieder sich einschleichen. Eine solche Geste, habe ich oben versucht mit der heroischen Gleichgültigkeit anzudeuten. Ist es nicht faszinierend, dass man mit soviel Pathos auf der Irrelevanz dessen besteht, was man tut? (Die – vermeindliche – Selbstbezüglichkeit der Kunst ist dann ein beliebter Referenzpunkt.) Ich glaube statt dessen käme es genau darauf an, ein Denken, was nicht gleichgültig ist, zu kultivieren. Und dieses setzt wohl eine Geste vorraus, die vielleicht nicht dem Postmodernismus ‚an sich‘ widerspricht, aber immerhin einer prominenten postmodernen Geste.

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